Irren-Offensive Nr. 5

Medizinsche Versorgung in der Psychiatrie

Im DB l haben wir bereits über den Krankheitsbegriff und die Forensik, in DB 2 was zur Funktion der Psychiatrie und einiges über Aufbau und Wirkung der ambulanten Psychiatrie | geschrieben. Diesmal wollen wir nun versuchen, uns schwerpunktmäßig mit der medizinischen Versorgung in der Psychiatrie zu beschäftigen. Damit meinen wir nicht die medizinische Versorgung körperlicher Beschwerden (Bauchschmerzen, Zahnschmerzen, Kopfschmerzen usw.), denn über diese wissen wir nur, daß sie nicht besonders gut ist und daß derlei Beschwerden in der Klapse natürlich oft als Bestandteil der Psycho-Macke gedeutet, also nicht ernstgenommen werden. In diesem Artikel wollen wir genauer auf die Behandlungsmethoden der sogenannten psychischen Krankheiten eingehen.

In diesem Zusammenhang halten wir es auch für notwendig, uns mit den herrschenden Theorien zur Entstehung sog. psychischer Krankheiten und den verschiedenen Diagnoseschubladen, der Krankheitsbegriffen der ArztInnen auseinanderzusetzen, da u. a. damit versucht wird, die medizinische Versorgung in der Psychiatrie zu legitimiteren und wissenschaftlich zu rechtfertigen.

Vorweg noch kurz was zur Begriffserläuterung: wir verwenden in diesem Artikel Begriffe wir "unnormal", "verrückt" oder "sog. psychisch krank". Diese sind sicher nicht wertfrei, sondern sind in der Regel negativ besetzt. Wir verstehen sie nicht negativ. Denn wir gehen davon aus, das unnormales oder verrücktes Verhalten, also von der hier geltenden gesellschaftlichen Norm weggerückt, eine Form von gesunder Reaktion auf das kranke Herrschaftssystem ist. Da wir zu den Begriffen krank/gesund, normal/ unnormal usw. in DB 2 schon mal was geschrieben haben, wollen wir das hier nicht weiter ausführen. Vielleicht wäre es mal notwendig, diese traditionellen Begrifflichkeiten durch ganz andere zu ersetzen, anstatt sie immer in Anführungsstriche und "sogenannt" zu kleiden. Das haben wir noch nicht gerafft; deshalb also erstmal die alten Begriff.; verwandt, die wir trotzdem anders verstanden haben wollen, was hoffentlich auch inhaltlich deutlich wird.

Diagnosen

Die 84778 Plätze umfassenden Psychiatrien sind voll mit Menschen, denen die unterschiedlichsten Diagnosen verpaßt wurden, unter denen wir uns Draußen meist nicht viel vorstellen können: senile Demenz, paranoide Psychose, manisch-depressives Irresein, Zwangsneurosen, Depressionen, Schizophrenien und wie sie alle heißen. Wir wollen hier jetzt gar nicht erst damit anfangen, diese Begrifflichkeiten zu erklären, da wir das1. gar nicht können und zum anderen diese herrschenden Krankheitsbegrifflichkeiten sowieso ablehnen.

Allen Diagnosen liegt ein Verhalten zugrunde, daß nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Bei allen "unnormalen" Verhaltensweisen wird aber nochmal eine Trennungslime gezogen, die zwischen sog. Neurosen und sog. Psychosen. Wir stellen diese Trennung hier kurz dar, weil daraus auch unterschiedliche Behandlungsweisen abgeleitet werden.

Wahrend "Neurotikerinnen" eher noch den "Normalen" zugerechnet werden, beginnt bei "Psychotikerinnen" die "psychische Krankheit". Die Entstehung von "Neurosen" wird auf innere und äußere Konfliktspannung zurückgeführt, zur Entstehung von "Psychosen" gibt es unterschiedliche Theorien. Eine, die sich noch immer hält, ist die, daß es sich um eine vererbbare Krankheit handelt und der Fehler im Gehirn des/der "Patientin" liegt, weshalb vor 15 Jahren noch der Begriff "Geisteskrankheit" viel gebräuchlicher war als heute.

Unter "Neurosen" fallen Ängste verschiedenster Art, Persönlichkeitsstörungen, Zwangshandlungen und sowas. Unter "Psychosen" fallen die großen Gruppen "Schizophrenie" und "manisch Depressive", die wiederum in viele kleine Untergruppen aufgeteilt werden. Die Abgrenzung zwischen "Neurosen" und "Psychosen" ist z..T. sehr willkürlich. Ein Kriterium z.B. ist die Krankheitseinsicht. Das heißt, wer sich "unnormal" verhalt und sich dabei selbst als krank bezeichnet, wird eher den "Neurotikerinnen" zugeschlagcn, wer .sein Verhallen nicht als krank sieht, den "Psychotikerinnen".

Ein anderes Kriterium sind Halluzinationen, die ein Verlassen der objektiven Wirklichkeit bezeugen sollen. Wer also Stimmen hört, sich mit Menschen unterhält, die nicht da sind, sich von geheimen (oder realen?) Mächten verfolgt fühlt, hat ´ne "Psychose''; die, die diese Symptome nicht aufwciscn, ´ne "Neurose". "Neurosen" werden weniger mit den medizinischen Mitteln der Psychiatrie behandelt, als vielmehr mit den psychologischen, oft auch außerhalb der Mauern, da "Neurotikerinnen" eher den gehobeneren sozialen Kreisen zugerechnet werden. "Psychotikerinnen" dagegen ist fast immer irgendwann ein Bett in der Klapse sicher, und sie werden auch das medizinische Instrumentarium der Ärztinnen in de. Regel Zu spüren bekommen. Mehr erstmal nicht dazu.

Die Unterscheidungen, die da gemacht werden, wovon die hier angeführte nur die gröbste ist, sind nicht unsere. Aber ebenso wie im Knast, wird auch in der Psychiatrie in möglichst kleine Grüppchen gespalten, unterschiedlich behandelt, usw. Das führt in der Psychiatrie noch viel mehr als im Knast dazu, daß sich die Insassinnen voneinander abgrenzen, den/die im nächsten Bett für noch viel kränker als sich selbst halten.

Von der Glaubwürdigkeit (geschweige denn Wissenschaftlichkeit) solcher Unterteilungen in verschiedene "Krankheiten" halten wir nicht besonders viel, bzw. gar nix. Oft genung zeigt sich die Willkür solcher Diagnosen allein darin, daß bei ein und demselben Menschen von verschiedenen ÄrztInnen ganz unterschiedliche Diagnosen gestellt werden. Dies komnil zu häufig vor, als daß man/ trau es mit medizinischen Irrtümern erklären konnte. Desweiteren haben sie (die ÄrztInnen, WissenschaftlerInnen) zwar jede Menge Theorien auf Lager (die sich auch völlig widersprechen), wie und warum solche sog. Krankheiten entstehen, konkret nachgewiesen wurde aber trotz vielerlei ziemlich übler Experimente und Untersuchungen noch gar nix.

Die Unterteilung in Diagnosen läßt sich durchaus so vereinfachen: Je "unnormaler", unbequemer und uneinsichtiger man/ frau ist, desto "kränker", desto schwerwiegender die Diagnose und die daraus resultierende Behandlung. Andere Faktoren, wie soziale Schicht, Kontakt und Unterstützung von anderen haben sicher auch Einfluß darauf.

Entstehungstheorien

Alle Theorien, die es zu dem Bereich Psychiatrie gibt, im Detail auszuführen, würde sicherlich zu weit führen. Wir stellen hier deshalb nur grob drei Richtungen dar:

l. Die Vererbungtheorie und die psychiatrische Genetik
2. Die Milieutheorie und der psychologische Ansatz
3. Die "Erfindungstheorie"

zu l.: Die Vererbungstheorie ist die älteste Interpretation, warum "psychische Krankheiten" entstehen. Sie besagt zum einen, daß bestimmte "Krankheiten", z.B. Schizophrenie, auf Grund besonderer genetischer Anlagen vererbbar sind, zum anderen, daß diese "Krankheit" auf Stoffwechselveränderungen (also chemischen) im Körper und eine Veränderung in der organischen Struktur des Gehirns zurückzurühren sind. Sie werden für unheilbar, aber eben behandelbar gehalten.
Die Vererbungstheorie bot im Nationalsozialismus eine Grundlage für die Ermordung sog. geisteskranker Menschen und ist heute noch Grundlage für Zwangssterilisationen oder die routinemäßige Anwendung der Dreimonatsspritzc (Verhütungsmittel mit extremen "Nebenwirkungen). Die physiologische Theorie bedingt die physische Behandlung: Beeinflussung von Körper und Kopf durch massig Chemie (Psychopharmaka), E-Schocks und Gehirnchirurgie.

zu 2.: Die Milieutheorie kam Anfang der 70er Jahre auf. Sie besagt, daß die Entstehung "psychischer Krankheiten" im Zusammenhang mit der Struktur der Gesellschaft, der Situation von Einzelnen in der Arbeitswelt und der Familie gesehen werden muß. Im Großen und Ganzen beschränkt sich diese Theorie aber auf die Ursache Familie. Soziologische und psychologische Untersuchungen ergaben, daß bei sog. schizophrenen Menschen oft mindestens ein Elternteil vorhanden war, das ihnen nicht die Möglichkeit gab, ein eigenes Selbstbild, eigene Wahlmöglichkeiten und eigene Ziele zu entwickeln. Es wird von potentiell schizophrenieerzeugenden Familien gesprochen, wenn eine Überbehütung des Kindes stattfindet, gekoppelt mit dem ständigen Verleugnen der eigenen Identität des Kindes.

Das sind dann Elternteile (in den Büchern sind es natürlich meist die Mütter), die eine Tendenz haben, zu dominieren, wenig Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle des Kindes aufbringen, gleichzeitig aber ein starkes Eigentums- und Besitzempfinden zeigen (wo das wohl herkommt...). Sie sind nicht offen repressiv, sondern setzen sich auf eine freundliche, aber alles beherrschende Art und Weise gegen das Kind durch. Vielleicht wird diese komplexe Theorie an einem Beispiel etwas deutlicher: Man/frau stelle sich Eltern vor, die jeden eigenen Gedanken ihres Kindes ins Negative umdrehen. Z.B. sagt das Kind; "Ich erinnere mich daran, daß ihr da und da ziemlich sauer auf mich wart", und die Eltern antworten, obwohl die Aussage des Kindes der Wahrheit entspricht und weil sie ja vorgeben, das Kind zu lieben: ''Nein, du erinnerst dich ganz falsch", oder "Nein. wir waren gar nicht sauer." Noch ein Beispiel: Kind sagt: "Ich habe erlebt ...", Eltern antworten: " Das hast du nicht, das war ganz anders."

Es ist keine offen repressive Familienstruktur, sondern eher eine verlogen freundliche, die für das Kind einen zunehmenden Streßfaktor darstellt. Die objektive Wirklichkeit verschwimmt und eine gefühlsmäßige Abkapselung von den nahestehenden Personen als Schutzmechanismus (um diesem Streß auszuweichen) erfolgt. Der nächste Schritt ist dann die Produktion von Halluzinationen. Diese "werden im Zusammenhang mit der gefühlsmäßigen Isolation von der Umwelt als eine völlig normale Reaktion gesehen. Als Beweis dafür werden einmal sog. normale Menschen angeführt, die aufgrund einer für sie bedrohlichen Streßsituation (schwerer Autounfall, brennendes Haus) Hallus entwickeln, zum anderen wird die Einzelisolationshaft erwähnt, da auch dort alle Sinnesreize/Gefühle nach außen gekappt sind, so daß der/die Betroffene sozusagen "darauf angewiesen" ist, Hallus zu entwickeln.

Weiter wollen wir diese Theorie nicht ausrühren, obwohl sie mit Sicherheit noch genauer darzustellen wäre. Der "Behandlungs"ansatz zu dieser Theorie ist in erster Linie ein psychologischer, d.h. mit den verschiedenen Möglichkeiten der Psychotherapie die wirklichen Erlebnisse des/der "Schizophrenen" zurückzuholen und aufzuarbeiten, mit oder ohne Einbezug der Familie. Allerdings sehen auch die VertreterInnen dieser Theorie einige medizinische Mittel, z.B. Psychopharmaka. zur Beruhigung als (noch) notwendig an, um an den/die Betroffenen überhaupt heranzukommen, usw. Der Krankhcitsbegriff wird nur vom Individuum auf die Familie ausgeweitet und nicht auf die bestehenden Herr-Schafts- und Besitzverhältnisse.

zu 3.: Die letzte Theorie, die wir hier kurz darstellen wollen und die uns selber am nächsten ist, ist logischerweise nicht besonders etabliert. Sie beinhaltet nämlich, daß sog. Geisteskrankheiten eine Erfindung der Medizinerinnen sind.

Dabei wird nicht in Frage gestellt, daß es "unnormales" Verhalten gibt, sondern lediglich, daß es sich bei diesen Verhaltensweisen um Krankheiten im medizinischen Sinne handelt. Vielmehr wird Verhalten erst im Kontext einer bestimmten Gesellschaft mit ihren sozialen Sitten und Rechtsvorstellungen normal oder eben abweichend von der Norm, deshalb aber nicht krank. Nicht konformes Verhalten als krank zu definieren, heißt umgekehrt, daß normgerechtes Verhalten gesund ist. Die herrschende Ethik und Norm wird dadurch verteidigt und stabilisiert, das WirGefühl der "gesunden" Gesellschaft verstärkt, indem einzelne (die sog. Geisteskranken) für ihre individuellen Interessen ausgesondert und bestraft werden.

Da sich in der Geschichte einer jeden Gesellschaft auch Sitten und Normen verändern, veränderten sich auch die Krankheitsdefinitionen (ebenso wie sich auch Gesetze und Strafmaße veränderten). So wurden z.B. früher Verhaltensweisen wie lügen, klauen, rauchen, Alkohol trinken als Symptome von Geisteskrankheit gedeutet (ist ja heute noch nicht ganz weg: Kleptomanie, Alkoholismus). Sexuelle Selbstbefriedigung wurde als Ursache von Geisteskrankheit (und von TBC, Epilepsie, Einfältigkeit und Tod) gesehen und man/frau konnte allein daraufhin in die Anstalt gesperrt werden. Auch Homosexualität und Prostitution, sogar Ehelosigkeit konnten mit Klapse bestraft werden. Und in allem fanden die MedizinerInnen eine Krankheit.

Natürlich könnte man/ frau nun sagen, damals war die Wissenschaft noch nicht besonders weit entwickelt, so daß derlei Diagnosen aus medizinischer Unkenntnis leicht zustande kommen konnten. Aber auch heute gibt es keine medizinisch/ wissenschaftlichen Nachweise, was sog. psychische Krankheiten betrifft und trotzdem tun heute wie damals alle so, als würden diese ganz klar in den ärztlichen Bereich fallen, als wären die Ärztinnen diejenigen, die abweichendes Verhalten zu behandeln und zu "heilen", d.h. zum Verschwinden bringen könnten. Die MedizinerInnen arbeiten damit meist im staatlichen Auftrag und lassen sich zu WächterInnen der Moral und des Sozialverhaltens machen. Sie sorgen mit dafür, daß unnormales Verhalten und soziale Probleme nicht etwa als eine Folge der gesellschaftlichen Bedingungen begriffen werden, sondern daß sie individualisiert und entpolitisiert in medizinische und therapeutische Probleme umgeprägt werden.

Obwohl der psychiatrische Bereich enorme Kosten, die wir durch Steuergelder zahlen, verursacht, wird er als Kontrollapparat konsequent ausgebaut. Verdienen tun daran nicht wenige (Medizinerinnen, Psychologinnen, Pflegerinnen und schließlich auch die Pharmakonzerne). Daß sie alle mit dafür sorgen, daß immer wieder neue "Krankheiten" erfunden werden, sich immer wieder neue Gruppen von Menschen in Therapien und Behandlungseinrichtungen begeben (müssen), ist nur logisch. Schließlich werden sie nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen.

So werden z.B. in den USA einige Sexualdelikte nicht mehr unbedingt mit Knast bestraft, sondern es wird, weil es sich um "Kranke" handelt, zu einer bestimmten Anzahl von Therapiesitzungen verknackt. Auch hier wurden derartige Delikte ja schon medizinisch "gelöst". Ein Allsspruch von einem Psychiater macht deutlich, wie leicht es ist, Krankheiten zu (er)finden, wenn man/frau sie haben will: "Es gibt kein Verhalten und keine Person, die ein moderner Psychiater nicht schlüssig als abnorm oder krankhaft diagnostizieren könnte." Und er führt als Beispiel an: Kommt ein Patient zu früh zu seinem verabredeten Termin beim Psychiater, kann dieser dessen Verhalten als ängstlich deuten, kommt er zu spät, ist er feindselig, kommt er pünktlich, ist er ein zwanghafter Charakter." Natürlich sollen gar nicht überall Krankheiten. gefunden werden, aber da, wo die herrschende Ordnung und "Gesundheit" stabilisiert und bewußtgemacht werden soll, müssen die, die sich nicht daran halten, als krank diffamiert und absondert werden.

Diese Theorie beinhaltet logischerweise keinen Behandlungsanspruch, besagt aber trotzdem, daß da, wo man/frau sich "unnormal" verhält und darunter leidet (was ja auch vorkommt) auf freiwilliger Ebene Hilfe und Unterstützung von Psychologinnen, bzw. Psychiaterinnen in Anspruch genommen werden kann - womit sie sich selbst widerspricht.

Sie wendet sich gegen jede Form von Zwang, und das finden wir gut und wichtig und als Zwischenschritt auch anstrebenswert, aber wenn es dabei stehenbleibt, werden die Ursachen "verrückten" Verhaltens nie beseitigt werden. Außerdem wird mit dieser Theorie impliziert, daß es in dieser Gesellschaft so etwas wie freie Entscheidungen gibt, was ja in der Regel nicht der Fall ist.

Behandlungsmethoden

Die heute am meisten praktizierte psychiatrische Behandlung ist mit Sicherheit die chemische, also die mit Psychopharmaka (hauptsächlich Antidepressiva und Neuroleptika). Weitere Methoden, die die Insassinnen psychiatrischer Anstalten "zur Vernunft" bringen sollen, heute aber weitaus seltener angewandt werden, sind Elektroschocks, Insulinschocks und die Lobotomie (Gehirnchirurgie). Zum Psychiatriealltag gehören weiterhin: die zeitweilige Unterbringung in Isozellen, die Fixierung (Fesselung), die Arbeits- und Beschäftigungstherapie, weniger, aber je nach Anstalt auch, Gespräche mit PsychologInnen, PsychiaterInnen und SozialarbeiterInnen.

Medikamente

Daß die vielen verschiedenen Pillen, Tropfen und Spritzen, die in der Psychiatrie eingesetzt werden, die Insassinnen von ihren "Krankheiten" heilen können, wagt heute kaum noch eine PsychiaterIn zu behaupten. Sie sind zur Ruhigstellung da und zur Befreiung von Symptomen, des Verhaltens also, das nach außen hin störend wirkt.

Sie dämpfen die Stimmen, die jemand hört oder lassen sie ganz verschwinden. Werden die Medikamente abgesetzt, sind die Stimmen meist auch wieder da, weil sich ja die Bedingungen, die solche Reaktionen hervorrufen, nicht verändert haben. Dauermedikationen, auch über den Klapsenaufenthalt hinaus, sind die Folge.

Dies ist an sich schon übel genug, wird doch dadurch, daß die Symtome chemisch überdeckt werden, das eigentliche Problem nicht mehr wahrnehmbar und somit auch nicht bearbeitbar. Dazu kommt dann aber noch, daß diese Medikamente wirklich krank machen und der Klapse ihre InsassInnen erhalten.

Die körperlichen und psychischen Folgen, die sogenannten Nebenwirkungen vor allem der Neuroleptika, sind gravierend. Sie gehen von Schädigungen der lebenswichtigen Organe (Herz, Leber, Nieren), über die Zerstörung der weißen Blutkörperchen, Hautkrankheiten, Krampfe, Parkinsonismus (Beeinflussung der Gehirnfunktionen) bis hin zu Krebs. Parkinsonismus ist das, was für Außenstehende immer wie das eigentliche unnormale Verhalten wirkt; starrer Blick, roboterartige Bewegungen, aufstehen, hinsetzen, wieder aufstehen, zittern, Verwirrtheitszustände, Bewußtseins-, Denk-, Wahmehmungs- und Sprachstörungen, Gedächtnislücken - alles Folgen der Neuroleptika: Haldol als bekanntestes, Truxal, Fluanxol, Taxilan, Atosil, Neurocil, Melleril, Glianimon und viele mehr.

Gegen die "Nebenwirkungen" gibt es wieder Medikamente, Hauptrenner dabei ist Akineton. Aus einer Werbeanzeige der Herstellerfirma: "Wenn während einer Behandlung mit Psychopharmaka ein ZungenSchlundKrampf auftritt - AKINETON - damit die Therapie nicht unterbrochen werden muß." (Zungen-Schlund-Kampf bedeutet, daß einem/einer die Zunge nach hinten in den Rachen klappt, so daß Erstickungsgefahr besteht.) "Nebenwirkungen" von Akineton sind dann wiederum: Müdigkeit, verschwomrnenes Sehen, Schwindelzustände, Kreislaufkrisen, Mundtrockenheit, Übelkeit, Brechreiz, usw., usw.

Neuroleptika wirken zusammengefaßt auf drei wichtige Bereiche im Gehirn:

1. das limbische System: Gefühle, Wahrnehmung, Steuerung des Körperinnern, Sexualität werden stark beeinflußt, bzw. blockiert.) Wahnvorstellungen und depressive Verstimmungen können erzeugt werden.
2. das Kontrollsystem des Bewegungsapparates, daher oft unkontrollierte, roboterhafte Bewegungen. Und
3. wird das hormonelle System durcheinandergebracht. Man/frau wird dick und aufgeschwemmt, Menstruationsstörungen und Impotenz können weitere Folgen sein.

Ein Gefangener in Straubing beschreibt die Wirkung eines solchen verabreichten Medikaments folgendermaßen: "Nach Verlassen der Ambulanz spürte ich leichte Schwindelgefühle. In meinem Haftraum verstärkten sich die Symptome. Ich hatte Schmerzen in der Brust, verbunden mit Atemnot und starken Herzrythmusstörungen. Obwohl ich sehr gute Augen habe, konnte ich kaum mehr etwas erkennen. Das Schlimmste aber war eine mir unerklärliche starke innere Unruhe und das gleichzeitige Unvermögen, mich normal zu bewegen. Ich war zeitweise wie gelähmt."

Bei dem verabreichten Medikament handelte es sich um Dapotum D. Aus einer Werbeanzeige zu diesem Stoff: "30 sec. Zeitaufwand - 3 Wochen Wirkung" Dapotum D wird als Depotspritze (im Knast besser bekannt als Betonspritze) verabreicht. Das Medikament (ob nun Dapotum, Fluanxol, Imap oder anderes) wird in den Muskel injiziert. Dort entsteht eine Beule (Depot), die den Wirkstoff kontinuierlich (über 2, 3 oder 4 Wochen, je nach Dosis) in den Körper ableitet. Im Knast wird die Verabreichung von Depotspritzen und anderen Neuroleptika als Sanktions- und Kontrollinstrument am deutlichsten, da werden sie bei sog. VollzugsstörerInnen und "schwierigen" Gefangenen eingesetzt.

Der Anstaltsarzt von Straubing, Dr. Last sagt dazu: "Die eigenen Erfahrungen mit Dapotum D beruhen auf der Behandlung von 193 Patienten im Alter von 23 bis 73 Jahren. (...) Danach ordneten sich 60 % der so behandelten Gefangenen über ein halbes Jahr, teilweise sogar länger besser in die Gegebenheiten einer Justizvollzugsanstalt ein." Bayrische (Straubing) und Baden-Wurttembergische (Bruchsal, Hohenasperg) Knäste, sind wegen des Verschärften Einsatzes von Psychopharmaka berüchtigt.

Aber nicht nur im Knast, auch in der Psychiatrie werden Depotspritzen gern bei renitenten "Kranken" eingesetzt, die ihre tägliche Medikamentation offen oder heimlich verweigern. Und schließlich wird diese "Behandlung" auch im ambulanten Bereich der Psychiatrie angewandt, weil die "PatientInnen" Draußen ja oft "vergessen" ihre Ration morgen, mittags, abends zu schlucken.

Diese Depotspritzen führen, da sie oft über einen längeren Zeitraum hinweg verabreicht werden, zu schwerwiegenden Spätfolgen, d.h., selbst wenn das Medikament irgendwann nicht mehr gegeben wird, bleiben körperliche und seelische Schäden zurück, die oft nicht mehr rückgängig zu machen sind. So kann es z.B. zu ausgeprägten unwillkürlichcn Bewegungen der Gesamten Körpermuskulatur kommen, zu Grimmassenschneiden, zu ruckartigen Schleuderbewegungen der Arme und Beine, usw. Es gibt auch heute schon ÄrztInnen, die die Verabreichung von DepotNeuroleptika ablehnen, eben weil das Risiko der Spätfolgen zu groß ist. Leider sind das nicht sehr viele.

Neuroleptika gibt es nicht nur in der Psychiatrie, im Knast und Draußen. Sie werden auch zu einem nicht geringen Teil in Alten- und Kinderheimen angewendet: Jährlich werden in der BRD 7-8 Mio. Neuroleptika-Packungen an die sog. PatientInnen ausgegeben. HerstellerInnen (die Pharmakonzerne) und VerteilerInnen (ArztInnen und Apotheken) machen auf Kosten der als krank diffamierten Menschen ihren Gewinn.

Wir wollen an dieser Stelle auch darauf noch kurz eingehen. Auch wenn es mit der medizinischen Versorgung in der Psychiatrie nicht direkt zu tun hat, so gehört es doch zum Hintergrund.

Die Pharmakonzerne der BRD bestreiten 1/4 des gesamten Weltexports von Medikamenten. Zusammen mit der Schweiz haben sie einen Anteil von knapp 40 % am Arzneimittelwelthandel. In der BRD sind 140.000 Medikamente, davon 6000 Psychopharmaka, im Handel. Im krassen Gegensatz steht da z.B. Norwegen mit nur insgesamt 1900 Medikamenten. Grund für so unterschiedliche Mengen sind u.a. die strengeren Zulassungskriterien in anderen Ländern.

Nun gibt es zweifelsohne auch Medikamente, die nützlich sind und die wir manchmal brauchen. Dazu gehören Psychopharmaka aus den hier beschriebenen Gründen mit Sicherheit nicht. Das ist den HcrsteucrInnen allerdings ziemlich egal - eine "Krankheit" ist ihr Geschäft und ihnen geht es nur darum, möglichst viele Medikamente zu verkaufen.

Jedes 12. receptierte Medikament in der BRD ist ein Psychopharmakon, ca. 2 Milliarden jährlich werden dafür von den Krankenkassen, also von uns, gelohnt. Hoechst, Bayer, Sandoz, Janssen, BASF und wie sie alle lieißen verdienen daran nicht schlecht und sie sorgen mit dafür, daß die Ideologie, "Verrücktheit" sei ein physisches Problem, "Krankheit" sei individuell behandelbar, usw. existent bleibt. Sonst würden sie sich ja den Umsatz vermiesen.

Die Aufrechterhaltung dieser Ideologie lassen sie sich auch was kosten. Sie geben Unsummen für die Forschung aus, die dann feststellt, das Psychomacken auf einer Stoffwechselstörung im Gehim beruhen - nach dem Motto: was bewiesen werden soll, kann immer bewiesen werden. Sie machen teure (verlogene) Werbeanzeigen, verschenken Proben und kleine Geschenke an die ArztInnenpraxen und Krankenhäuser, verschweigen "Nebenwirkungen", bieten immer wieder die gleichen Substanzen unter anderem Namen, mit anderen Wirkungskreisen und anderer Preislage an (seit Ende der 60ger Jahre wurden von den Unternehmen kaum neue Substanzen entwickelt, trotzdem kommen immer wieder neue Medikamente auf den Markt) und viele Schweinereien mehr. Schließlich erproben sie ihre "Neuentwicklungen" mit Vorliebe an Menschen, die davon nicht; wissen, bzw. sich nicht dagegen wehren können: an Schwerverletzten, an Psychiatrie- und KnastinsassInnen, an Alten und an Frühgeburten. Dabei werden durchaus auch Tote in Kauf genommen - die gehören mit zum Geschäft.

Soviel erstmal zum Bereich der chemischen Behandlung, bzw. passender: Zerstörung in der Psychiatrie und anderswo.

Elektroschocks

Der Elektroschock, in Psychiaterlnnenkreisen auch vornehm verschleiert Elektrokrampftherapie oder auch Elektrostimulation genannt, wurde 1938 von einem italienischen Arzt, Ugo Cerletti, erfunden, der beobachtet hatte, wie Schweine im Schlachthof mit E-Schocks betäubt wurden. Der E-Schock wurde früher an Menschen, denen die Diagnosen "schwere Depression" oder "Schizophrenie" verpaßt wurden, u.a. zur Ruhigstellung von "Gewalttätigen" oder um Menschen "ansprechbar" zu machen, die sich völlig von ihrer Umwelt abgekapselt hatten, angewandt. Er ist bis heute noch nicht verboten, wird aber wohl seltener eingesetzt.

Dabei werden an beiden (oder einer) Schläfen der sog. PatientInnen Elektroden angesetzt und ein Stromschlag durch das Gehirn gejagt. Man/frau verliert sofort das Bewußtsein, alle Muskeln im Körper spannen sich an, der Körper bäumt sich auf und verfärbt sich aufgrund des Sauerstoffmangels im Gehirn blaurot. Bei diesem Aufbäumen und Muskelzuckungen kam es früher häufig zu Knochenbrüchen, weshalb man/frau heute vor dem Schock stark medikamentiert wird (Vollnarkose).

Nach dem Schock ist man/frau erstmal für Stunden und Tage völlig verwirrt, das Erinnerungsvermögen ist ausgeschaltet. E-Schocks werden in der Regel als Serie verabreicht, d.h. man/frau erhält durchschnittlich 10 Schocks in einem Zeitraum von ca. l -3 Wochen. Früher war es allerdings auch nicht selten, daß man/frau 100 -150 und mehr E-Schocks hinter sich hatte. Bei jedem Schock werden Gehirnzellen zerstört, bzw. funktionsunfähig gemacht - einmal durch den Stromschlag selbst, zum anderen durch die mangelnde Sauerstoffversorgung des Gehirns während des Krampfanfalls. Besonders das Erinnerungsvermögen, aber auch intellektuelle Fähigkeiten werden durch E-Schocks geschädigt. Viele können sich auch nicht mehr an die Zeiträume vor dem Schock (manchmal Jahre) erinnern.

Deswegen werden inzwischen diejenigen, die aus den oberen sozialen Schichten stammen (und sowieso seltener in der Klapse landen) mit Sicherheit von E-Schocks verschont bleiben. Ein Psychiater sagt das ganz offen: "Gerade bei Patienten mit intellektuellen Berufen - Ärzten, Rechtsan wälten. Hochschulprofessoren, usw. ist jedoch das amnestische Syndrom (Erinnerungslücken) einer sofortigen Berufsausübung sehr hinderlich ... man wird daher bei geistig differenzierten Patienten in der Indikation zu einer Elektroschocktherapie (...) sehr zurückhaltend sein." Frei übersetzt: Was braucht der Fabrikarbeiter sein Gehirn ...

Die E-Schock-Methode geriet etwas aus der Mode, als Ende der 50er Jahre die Psychopharmaka-Behandlung erfunden wurde, wurde aber nie ganz aufgegeben und wird in Deutschland und anderen Ländern nach wie vor angewandt. Der rot-grüne Senat hier hat das Verbot von E-Schocks für Westberlin zwar in seine Koalitionspapiere geschrieben - aber nun ja, da steht ja vieles ...

Insulinschocks

Die beschönigend so genannte "Insulinkur" wurde 1935 in die Psychiatrie als Behandlungsmethode eingeführt. Dabei wurde den sog. PatientInnen eine hohe Dosis Insulin gespritzt, was einen künstlichen Zuckermangel im Blut herbeiführt. Folgende quälende Beschwerden traten durch das Herabsetzen des Blutzukkerspiegels auf: Schweißausbrüche, Herzrasen, inneres Beben, Angst, Zittrigkeit, Bewußtseinstrübungen, bis man/frau ins Koma fiel. Früher starb an dieser Insulinspritze etwa jeder hundertste Patientin - inzwischen wurden die Überwachungsmethoden während des Komazustandes verfeinert, so daß dies nicht mehr so häufig passiert.

Meist wurden 30-60 Koma"behandlungen" gegeben, oft auch in Kombination mit E-Schocks. Auch durch Insulinschocks werden wichtige Nervenzellen im Gehirn zerstört. Der/die sog. Patientin ist danach ruhiger, unauffälliger, angepaßter (oder tot).

Ob und wie oft diese Methode heute noch angewandt wird, konnten wir nicht rausfinden. In den 70er Jahren war sie jedenfalls hier und in den USA noch Praxis. Wahrscheinlich ist, daß der Insulinschock, da ein hoher Überwachungs- und Pflegeaufwand mit ihm verbunden ist, zugunsten der chemischen Beeinträchtigung von Verhalten zumindest rückläufig ist.

Lobotomie

Bei der Lobotomie (oder auch Leukotomie) wird die körperliche Zerstörung zur Erzielung angepaßten Verhaltens am deutlichsten.

Erfunden wurde sie Anfang dieses Jahrhunderts im Krieg. Man/ frau entdeckte nämlich, daß sich das Persönlichkeitsbild eines Menschen aufgrund physischer Verletzungen (also z.B. durch eine Kugel, die durch den vorderen Teil des Großhirns dringt) verändern ließ. Anfangs wurden ganze Teile des Großhirns operativ entfernt, dann waren es kleine Schnitte, die Nervenenden im Gehirn durchtrennen.

Ein schwedischer Gerichtspsychiater beschreibt die Wirkung: "In den ersten Tagen ist der Frischoperierte meist ziemlich wirr im Kopf, sehr müde und auffallend antriebslos. Die Operierten fügsam und formbar geworden, wenn sie sich auch wie Kinder plötzlich querstellen können. (...) Wenige Erlebnisse können auf das schwergeprüfte Personal einer Abteilung für chronisch unruhige Patienten einen so ermutigenden Einfluß ausüben, wie die Beobachtung, bis zu welchem Grad ein seit Jahren schwer zu pflegender, gewalttätiger Geisteskranker sich verändern kann und plötzlich ruhig, leicht lenkbar und erziehbar wird."

Aus verschiedenen Untersuchungen geht hervor, daß durch die Lobotomie erhebliche Defekte der höheren Gehirnfunktionen verursacht werden: das abstrakte Denken, das Urteilsvermögen, das Erkennen von Zusammenhängen, Fantasie, Kreativität, emotionale Sensibilität und moralisches Bewußtsein werden schwer gestört - man/frau wird also zu einem! Halbautomaten gemacht, der willig und steuerbar ist. Epileptische Anfälle treten nach der Lobotomie häufig auf. Betroffen von dieser Methode sind wie immer die sog. Schizophrenen, aber auch bei Depressionen oder Neurosen wurde früher die Lobotomie angewandt. Und nicht nur PsychiatrieinsassInnen waren dem ausgesetzt, sondern auch KnastinsassInnen, zumindest in den USA:
"Namentlich und nachweislich sind in den USA psychochirurgische Eingriffe aus rein politischen Gründen durchgeführt worden. "Erfaßt" worden sind aufsässige, "gewalttätige" und politisch motivierte Strafgefangene, Terroristen,' Flugzeugentführer und andere Kriminelle oder als kriminell bezeichnete."

Die Vorgehensweise hat sich verfeinert. Heute wird kaum noch zum Skalpell gegriffen, sondern mit Hilfe von Sonden, durch die Strom geleitet wird, kann in bestimmten Hirnregionen Hirnsubstanz "verkocht" (ausgeschaltet) werden. In den USA ist man/frau sogar noch weiter: "Einigen Patienten wurden Elektroden ins Gehirn eingepflanzt. Diese Elektroden können mit Hilfe von computergesteuerten, telemetrischen Systemen beeinflußt werden; auf diese Weise kann das Fühlen und Verhalten der betroffenen Menschen ferngelenkt werden.

Noch in den 70er Jahren wurde in der BRD die Lobotomie an schätzungsweise 150 Menschen durchgeführt (in den USA bei 500 -600). Offiziell wird sie heute in der BRD wohl nicht mehr angewandt. U.a. in Holland und den USA ist sie aber nach wie vor Praxis.

Abschließende Bemerkungen

Wir haben uns jetzt hier auf die physischen "behandlungs"methoden in der Psychiatrie beschränkt, weil diese in der Regel (noch) Überwiegen. Natürlich gibt es auch kleinere, reformerische Klapsen, die ihren Schwerpunkt auf die psychologische behandlung (Psychotherapie, Gesprachskreise) ihrer InsassInnen legen, aber es gibt auch da wohl keine die nicht auch noch physische Mittel, in der Regel Medikamente, einsetzen.

Und auch die rein psychologische Behandlung beruht auf einem wenig hinterfragtcn Krankheitsbegriff, bleibt bei einer individuellen Herangeheisweisc, und die Techniken der angestrebten Verhaltensänderungen sehen erstmal nur humaner aus. Die Ursachen des Austickens bleiben auch da unverändert. Genaueres zu den reformpsychiatrischen Ansätzen haben wir ja schon in DB 2 geschrieben, wollen es deswegen hier auch weglassen.

Nach all dem, was über die physischen Methoden in der Psychiatrie und anderswo bekannt ist, halten wir es für notwendig, für deren bedingungslose Abschaffung zu kämpfen. Wir halten es für falsch, eine Brutalitäts- und Zerstörungsskala aufzustellen, auf der die Lobotomie ganz oben steht und die Psychopharmaka noch relativ harmlos wegkommen, weil sich unserer Meinung nach all diese Methoden nicht viel nehmen.

Neuroleptika bedeuten nur weniger unmittelbar offensichtliche Zerstörung, sie sind gängig und genießen in der Öffentlichkeit eine extrem höhere Akzeptanz als z.B. E-Schocks oder Lobotomie. Dabei ist es allerdings durchaus so, daß, nachdem jetzt die Ergebnisse der ersten Langzeitstudien mit Neuroleptika-Betroffenen bekannt werden, z.B. die Anwendung von E-Schocks wieder Auftrieb bekommt, weil diese angeblich nicht so extrem zerstörerisch wirken.

Es kann nicht darum gehen, ein Übel durch ein anderes zu ersetzen - deshalb müssen alle diese Methoden verschwinden. Dies wäre ein Zwischeaschritt hin zur Abschaffung aller Klapsen, zum Wegkommen vom Krankheitsbegriff, denn wir wären weitaus mehr gezwungen mit unserem Austicken und dem Austicken anderer klarzukommen, uns damit auseinanderzusetzen und eben auch, uns auch mit den Ursachen des "Verrückt"werdens zu beschäftigen: z.B. mit Isolation, Einsamkeit, Sexismus, Rassismus, Konkurrenz, Verlogenheit, Kleinfamilie, Überwachung Herrschaft.

Ein weiterer notwendiger Zwischenschritt, der vielleicht noch etwa realistischer durchzusetzen ist, wie schon erwähnt, die Abschaffung jeglicher Zwangsuntersuchungen, Zwangseinweisungen und Zwangsbehandlungen, ob das das Gespräch mit der/dem PsychologIn ist oder die Haldol-Einnahme, jedeR muß das Recht haben zu verweigern, ohne Konsequenzen zu spüren.

Realistischer durchzusetzen vielleicht, weil die Mehrzahl der Betroffenen tatsächlich "freiwillig" in die Klapse geht. sich selbst als "krank" bezeichnet und von den MedizinerInnen Hilfe erwartet. Mit dieser Freiwilligkeit ist es bei näherem Hinschauen natürlich nicht so weit her. Sei es der Druck der Familie, des/der ArbeitgeberIn, der Schule, des Vormunds, oder sei es auch nur die eigene Angst vor der Angst der anderen, wenn man/frau sich zu verrückt verhält. Auch Einsamkeit und Beziehungskonflikte können Gründe sein, in die Klapse zu gehen. Von Freiwilligkeit kann da jedenfalls nicht so sehr die Rede sein.

Deswegen finden wir es auch falschunter dem Begriff "Freiwilligkeit" alles beim Alten zu lassen, wie dies in der "Erfindungstheorie" vertreten wird. Die Abschaffung jeglichen psychiatrischer Zwangs ist "nur" ein Schritt dahin, die Allmacht der MedizinerInnen einzuschränken und unser eigene Zuständigkeitsgefühl (wieder) zu aktivieren, statt es an die Herren und Damen in Weiß zu delegieren. Dies soll nicht davon ablenken, daß es letztlich immer darum gehen muß, für eine herrschaftsfreie, nicht länger krank"machende Gesellschaft zu kämpfen, die auch die "freiwillige Behandlung" überflüssig macht. Für eine Gesellschaft ohne Psychiatrien und ähnliche Einrichtungen.

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