Irren-Offensive Nr. 14
- PatVerfü knackt Zwangspsychiatrie -

Danke Herr Regisseur
wir wollen Ihre Freikarten nicht...

 

Offener Brief:
Danke Herr Regisseur, wir wollen Ihre Freikarten nicht…


… denn das von Ihnen inszenierte Stück ist wegen vier gravierenden, ideologisch-historischen Fehlern mangelhaft. Seine systematischen Verdrehungen machen es für die sozialen Schwestern und Brüder der T4 Opfer unerträglich: In dem Bezug auf eine heutige Diskussion verstärken und bestätigen die Aussagen ihrer Inszenierung eher die ärztliche Machtposition, als dass sie diese schwächen würde. Denn die Selbstbestimmung von Patienten, die Erfüllung deren Willens und damit die Achtung deren Würde, z.B. durch gesetzlich verbindliche Patientenverfügungen, wird nochmals in demagogischer Weise mit dem systematischen Morden der Ärzte-Nazis, also dem terminalen Brechen des Willens der Opfer, assoziiert: in dem Stück wird immer noch der Nazi-Euphemismus „Euthanasie“ als Begriff für diese Massen-Mordaktion gebraucht.

Dies ist der Ausgangspunkt für folgende 4 historische Fehler, und wir müssen Ihnen unterstellen, diese in ideologischer Absicht begangen zu haben:
a) Durch die Nazi-Perspektive einer angeblichen „Euthanasie“ wird die Mär genährt, dass die Gaskammer-Massenmorde der Aktion T4 ein von der Shoah abgetrenntes Kapitel gewesen wären, wo in Wahrheit der gesamte Holocaust ein ärztliches Mordsystem war. Auch in Auschwitz selektierten die Ärzte an der Rampe und die Mordmethode, das Mordpersonal und die biologistische Ideologie waren die selben*. Ebenso verdeckt das Stück eher als dass es aufdeckt, dass dieses systematische ärztliche Massenmorden auch ohne Nazi-Herrschaft in den deutschen Psychiatrien bis 1948/49 weiterging, es also insgesamt eine medizinische Mordaktion war.

b) Wo soll ein überlebendes Opfer der Aktion T4 danach den Beruf der Mörder seiner Brüder und Schwestern angenommen haben? Wenn das Stück ein Opfer zu einem angeblichen Arzt „Dr. Karl Niemand“ stilisiert, kann das nur als Versuch gewertet werden, die Schuld der Ärzte als Täter zu relativieren, wenn nicht sogar ganz zu verleugnen. Warum sonst wird dieser künstlerische Missgriff eines Opfers in der Täterprofession vorgenommen?

c) In dem Stück wird Tötung auf Verlangen und die Mordaktion von 1939-1948 auf eine Ebene gestellt. Weil wiederum, und noch einmal, beides mit dem Wort „Euthanasie“ bezeichnet wird, verstärkt der Autor des Stückes und Sie als Regisseur den Ärzte-Nazi-Gebrauch dieses Wortes, indem sie ebenfalls suggerieren, die Mordaktion könnte überhaupt „Euthanasie“ genannt werden: Sie adoptieren damit nochmals die Absicht der Nazidarstellung, die suggerieren sollte, dass die Ermordeten doch eigentlich umgebracht werden wollten. So geistesgestört wie die Opfer angeblich waren, konnten sie nur nicht ihren wirklichen, vernünftigen Willen einsehen, von ihrer „Ballastexistenz“ befreit sein zu wollten. Nur diesem vernünftigen Willen, der am „eigentlichen“ Wohl orientiert ist, wurde Hilfestellung gegeben. Diese zynische Verdrehung der Sprache und Negierung des tatsächlichen Willens der Betroffenen begünstigt das Stück, und lenkt damit den Blick von der ungebrochenen Kontinuität des ärztlichen Terrors der Zwangspsychiatrie ab. Deren unveränderte Aufgabe ist das Brechen des Willens ihrer Opfer und Zwang zum Geständnis der „Krankheitseinsicht“, der mit folterartigen Mitteln auch heutzutage noch verfolgt wird.

Von einer zweiten Aufgabe der Misshandlung wird so ebenfalls abgelenkt: von der Beseitigung der Zeugen der Verbrechen – der hauptsächliche Grund, warum Friedrich Zawrel jahrzehntelang von dem Psychiater Dr. Heinrich Groß weggesperrt und misshandelt wurde.

Diesen Grund hat Horkheimer während seiner Emigration in Amerika gesehen, als er schon am 28. August 1941 an Adorno schreibt:
Die Ermordung der Irren enthält den Schlüssel zum Juden-Pogrom... Daß sie von den Zwecken und Zielen, in deren Dienst das Leben der Heutigen verläuft, nicht genauso gebannt sind wie die Tüchtigen selbst, macht die Irren zu unheimlichen Zuschauern, die man wegschaffen muß... Wieder und wieder sollte sich erweisen, daß Freiheit nicht möglich ist.**

d) So wirkt das Stück in der augenblicklichen Debatte um die Wirksamkeit einer Patientenverfügung verklärend statt aufklärend. Vorgeblich warnend wird auf „Euthanasie“ verwiesen. Dabei wird verdunkelt, welcher Unterschied ums Ganze zwischen Mord und Tötung auf Verlangen besteht. Genauso soll der Unterschied zwischen Tötung auf Verlangen und der Verbindlichkeit einer Anweisung einer/s Betroffenen, medizinische Behandlung zu unterlassen, verdunkelt werden. Diesen wesentlichen Unterschied zu negieren und beides gleichzusetzen, läuft darauf hinaus, dafür zu werben, dass der Arzt, und eben nicht der Patient das letzte Wort haben soll. Damit soll die gängige Praxis erhalten bleiben, dass Ärzte nahezu jederzeit so gut wie jeden Patienten mit einem psychiatrischen Konzil wegsperren lassen können. Dann wird das Opfer zwangsbehandelt und zur endgültigen Unterwerfung in Krankheitseinsicht und Compliance entmündigt. Zur Täuschung aller Beteiligten wird diese Kolonialisierung „Betreuung“ genannt.
Wir bestreiten, dass dem Stück die Qualität einer künstlerischen Verarbeitung der geschichtlichen Ereignisse zugesprochen werden kann. Dazu hätte es sich besser auf historisch Getreues beschränkt. Deshalb bleibt „Das Hospital der Verklärung“ von Stanislaw Lem für uns das bisher einzige literarische Werk zum Massenmord an psychiatrisierten Menschen. So bleibt uns nur zu hoffen, dass das Stück von Christoph Klimke bald vergessen sein und nirgends mehr zur Aufführung kommen wird.

*siehe Henry Friedlander: „The Origins of Nazi-Genocide”
** Gesammelte Schriften Band 17: Briefwechsel 1941-1948. Hrsg. von Gunzelin Schmid Noerr, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/ Main 1996

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