Irren-Offensive Nr. 14
- PatVerfü knackt Zwangspsychiatrie -

Trialüg

 

„ES IST NORMAL, VERSCHIEDEN ZU SEIN“
„Psychoseseminar“ am 08.04.2009 im Gesundheitshaus in der Grunowstraße in Berlin-Pankow

Das Thema der heutigen Sitzung lautete „Psychose und Trauma“. Moderiert wurde die Runde von drei Mitgliedern der Arbeitsgruppe Utopie, die sich selbst als „psychiatriekritisch“ bezeichnet. Die drei Moderatoren waren ein Psychiatrieerfahrener, eine Angehörige und eine „professionell Tätige“.
Was ist eine „Psychose“ – und was ist ein „Trauma“? Gibt es so etwas überhaupt? Die Antwort ist klar: nein! Dennoch haben viele die Definitionen der o. g. Begriffe rege diskutiert, als wären sie tatsächlich wissenschaftlich, und auch leichtfertig und bedenkenlos mit weiteren Vokabeln wie z. B. „Er-krankung“, „Behandlung“ und „Medikamente“ hantiert.

Es wurde die Äußerung fallen gelassen, dass psychiatrische „Diagnostik“ zur Klärung des Problems des Betroffenen verhelfen soll.Wie in aller Welt soll dies gehen? So ein Herr: Der Patient X merkt, dass es ihm „seelisch“ nicht ganz gut geht. Nachdem alle Ärzte keine körperliche Ursache bei ihm feststellen konnten [bzw. diese übersehen haben], geht er zum Psychiater. Der hört sich sein Klagen an, notiert eifrig und fällt letztlich das Urteil alias „Diagnose“: z. B. „manisch depressiv“. Doch was hat X von dieser herabwürdigenden, verlogenen Vokabel? Hilft sie ihm etwa? Im Gegenteil: Wohl eher wird er sich stigmatisiert fühlen, und aus diesem „Stempel“ können ihm Nachteile im Leben entstehen. „Diese Begrifflichkeit ist brutal!“, äußerte sich eine Frau entschieden dazu. Und damit hat sie auch vollkommen recht. Eine andere sagte bezüglich „Trauma“: „Ich glaube, dass die Psychiatrie noch zusätzlich traumatisiert. [...]“ Auch diese Dame trifft mit ihrer Aussage „den Nagel auf den Kopf“. Hier möchte ich eines klarstellen: Den Begriff „Trauma“ in Verbindung mit dem Begriff „Psychose“ stelle ich am Anfang dieses Textes in Frage; doch das Wort „Trauma“ wird auch in der Umgangssprache als Bezeichnung für ein gravierend negatives Erlebnis, das den Betroffenen hinterher noch beschäftigt, oft verwendet. Daher trenne ich es vom typisch psychiatrischen Fluch „Psychose“ und erlaube mir, hier von „Trauma“ zu sprechen.

Ein selbstbezeichneter „Professioneller“ schilderte das Psychiatrie-Problem so: Die Leute würden die „Hilfe“ des Psychiatriesystems nicht annehmen, da dieses „alles andere als einladend“ sei. Der Grund: die Trennung ambulanter und stationärer Psychiatrie, da besonders die Letztere die Betroffenen traumatisiere. Die Gründe für die „alles andere als einladend[e]“ Ausstrahlung sind aber wohl andere: Trotz Tarnung strahlt die Psychiatrie eine einschüchternde Atmosphäre aus, die wohl von ihrer Machtpolitik herrührt. Eine freundlichere Ausgestaltung des Systems würde diesen Machtapparat nur noch mehr verdecken und so die Psychiatrie noch gefährlicher machen. Denn deren eigentliches Ziel bliebe: Macht- und Einkommensmaximierung. Auch das Zusammenwerfen ambulanter und stationärer Psychiatrie würde weder die Ziele des Systems ändern noch die traumatisierende Wirkung psychiatrischer Einrichtungen mindern. Und dennoch plädierte der Kerl mit Nachdruck für ein sanfteres Auftreten der Psychiatrie, indem die „Experten“ nicht gleich über „Medikamente“ reden und lernen sollen, einem Menschen freund-lich zu begegnen, wobei der Betroffene es sich angeblich aussuchen könnte, ob er die „Hilfe“ des System annehmen möchte. „Man muss das psychiatrische System verändern.“ Tja, da fragt man sich, in welche Richtung. Und warum sollte es überhaupt noch fortbestehen, wo es doch keine „psychische Krankheit“ gibt. „Seelisch krank“? Was ist da „krank“? Und wie? Der abstrakte Begriff der „Seele“ kommt ursprünglich aus der Religion und hat in der Medizin nichts verloren. Es ist nicht nachgewiesen, dass es eine „Seele“ überhaupt gibt. Und sollte es doch eine geben – kann sie krank werden? Bestünde sie aus Zellen, die durch einen Erreger geschädigt werden können, wäre sie ja ein Körper. Daraus folgt: Nur Organismen können krank werden.

Ein Vereinsmitglied zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e.V. befürwortete die Möglichkeit, bei Bedarf stigmatisierungsfrei „normale“ Psychotherapie zu erhalten. Der Ansatz, einem Interessenten stigmatisierungsfrei jemanden zum Reden bereitzustellen, ist an sich nicht allzu schlecht. Aber: Wozu muss dieser „Redner“ eine Psycho-Ausbildung haben?! Körperliche Defizite des Betroffenen als mögliche Ursachen für angebliche „seelische Störungen“ wurden ebenfalls genannt. Die schlechte Laune aufgrund eines körperlichen Leidens ist wohlbekannt. Auch ist dieses Leiden nicht immer gut zu erkennen und zu orten, es geht einem einfach nur „dreckig“, wie z.B. oft bei Stoffwechsel- oder/und Verdauungsstörungen. Und da wird man mit etwas Pech zum Psychiatrieopfer wegen angeblich „seelischer“ Krankheit. Denn mit Vitaminen und frischer Luft lässt sich nicht so viel Geld verdienen und betrügen wie mit Psychodrogen. Eine Dame vom Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt e. V. betonte – neben einer Kritik an den gängigen Maßnahmen der Zwangspsychiatrie – auch, dass selbst in ambulanter Psychiatrie ein Machtverhältnis zwischen „Arzt“ und „Patient“ entstehe – zum Nachteil des Letzteren. (...)

Zu guter Letzt schloss der moderierende vermeintliche Psychiatrieerfahrene mit folgendem Satz die Sitzung: „Jeder muss bei sich selber anfangen!“ Mit Hilfe dieses Satzes schieben Psychiater und Psychologen Opfern einer gesellschaftlichen Misslage die Schuld für diese in die Schuhe – und nicht etwa den Tätern. Nach folgendem Muster: Y wird gemobbt. „Überdenke deine Einstellung zu der Gesellschaft,“ heißt es dann immer bei den Psychos, „lieber Y, fange bei dir selbst an...“ – zu Deutsch: „Du bist selber schuld!“ (...)

Allgemein fiel die Psychiatriekritik zu lasch aus. Aber der Eindruck versuchter Rechtfertigung seitens vieler – darunter der Moderatoren – zwang sich einem auf. Dabei sollte deren „Dreieinigkeit“, der sog. „Trialog“ – oder vielmehr „Trialüg“ – eine nicht vorhandene Gleichberechtigung vortäuschen. Was ist das für eine „Gleichberechtigung“, im Rahmen welcher die „professionell Tätige“ die Betroffenen, und auch die Angehörige, wenn diese ihr unbequem wird, unschuldig einsperren kann! Somit stehen die Veranstalter mit ihrer wahren Einstellung zum Thema Psy-chiatrie im Widerspruch zum Motto der Veranstaltungsreihe „Psychoseseminar“ (siehe Überschrift).

Fazit: Der Begriff der „seelischen Krankheit“ ist ein Widerspruch in sich, die Psychiatrie eine Falle. Unter dem Vorwand einer „Hilfe“ bzw. „Therapie“ bestraft sie bereits Traumatisierte für ihr Erlebtes mit einem erneuten Trauma. Die Psychiatrie scheint zu dem Entschluss gekommen zu sein, dass ihr eh schon dichtes Netz aus Lügen und Euphemismen, hinter dem sie ihr wahres Gesicht versteckt, immer noch zu lückenhaft wäre. Denn es sickere offenbar noch genug Wahrheit durch, um einige potentielle Opfer abzuschrecken. Daher wolle sie im Rahmen einer angeblichen „Selbstkritik“ ihre einkommens- und machtpolitischen Ziele noch raffinierter kaschieren. Dies entnehme ich den Äußerungen vieler Besucher – vor allem denen der „Professionellen“.

Simone Wallraff

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