oktoberstürm
Die Oktobertage brachten im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Dösen unerhörte Ereignisse. Noch sind Patienten wie Personal überrascht vom unerhörten Tempo der Geschehnisse. Ich als Patient der Station A3/2 wurde Zeuge und möchte einen kurzen Bericht über dieses Geschehen und seine dramatische Zuspitzung geben.
Es war am 9. Oktober, als Chefarzt Dr. Hau nach einem arbeitsreichen Tag nach Hause ging. Als er den Park von Dösen durchquerte fiel ein Schuß. Mit einem Gewehr, wie es afrikanische Tierfänger benutzen, wurde ihm eine Injektion ins Gesäß beigebracht, exakt im 4. Quadranten. Zunächst zeigte sich keine Sofortwirkung, aber als er zu Hause war, konnte er nicht still sitzen. Es stellte sich ein merkwürdiges Zucken des Gesichtes ein, er bemerkte ein starkes Parkinsonsyndrom und beim Abendessen wäre er fast an einem Schlundkrampf erstickt.
Am nächsten Morgen bekannte sich die SchAF (Schizo-Armee-Fraktion) zu den Anschlag. Dr. Hau hatte einen neuroleptischen Schuß von 30 mg Haloperidol i.m. erhalten. Die SchAF drohte mit weiteren Anschlägen auf medizinisches Personal. Die Chefärzte aller Stationen erhielten ausnahmslos Drohbriefe. Man forderte die Öffnung der Station B l.
Am nächsten Morgen war der dielektrische Sozialpädagoge Oberarzt Dr. Hans Schock spurlos verschwunden. Der aktuellen Kamera wurde von der SchAF ein Video zugespielt. Darin gab Dr. Schock in Parkinsonhaltung seine Entführung bekannt. Er bat seine Kollegen, im Interesse seines Lebens sofort die Elektrokrampfbehandlung einzustellen.
Aber auch jetzt war die SchAF noch nicht zufrieden. Am Freitag den 13.10. wurde der D-Bus auf der Fahrt von Probstheida nach Dösen entführt. Die darin sitzenden Tagespatienten ließ man frei, nur medizinisches Personal wurde als Geiseln genommen. Es wurden 32 Personen gekidnappt, 11 Hilfsschwestern, 5 Schwestern, 3 Oberschwestern, 2 Pfleger, 8 Therapeuten, 2 Ärzte und der Busfahrer. Am nächsten Morgen brachte man den Busfahrer mit verbundenen Augen in die Kirche von Meusdorf und ließ ihn hier frei. Er übermittelte die Forderung der SchAF zur Freilassung aller Patienten der Station Bl. Bis zur Erfüllung dieser Forderung wurden die Geiseln auf Betten fixiert und erhielten dreimal täglich 20 mg Haloperidol i.m.
Nun sah sich der Staat zu außerordentlichen Maßnahmen gezwungen. Ein neues Gesetz stellte neuroleptische Attentate und Anschläge unter schwere Freiheitsstrafen. Wie man sich auch bei der Formulierung mühte, man konnte die Kriminalisierung der soma-tischen Praxis der Psychiatrie nicht vermeiden.
Nach Annahme dieses Gesetzes berief der Patientenrat der Station A3/2 nach der Montagsvisite eine außerordentliche Patientenvollversammlung. Erschüttert vernahm Chefarzt Dr. Hahn den Sprechchor: "Alle Macht den Räten, brecht den Hahn die Gräten!" Dann formierten sich die Patienten zur Demonstration durch das Klinikgelände. Spontan schlössen sich die Insassen der anderen Stationen an. Alle Zufahrten waren blockiert, zwei Stunden mußten die Tonis mit den Zwangseingewiesenen warten. Ebenso lange konnten die Todesfälle nicht in die Pathologie gebracht werden. Rudi Richtsched stimmte die Schizolaise an und der ganze Demonstrationszug fiel ein. Dann erschollen Sprechchöre gegen Elektroschock und Neuroleptika. Man forderte die strafrechtliche Verfolgung der Täter und die Beschränkung auf Psycho-, Sozio- und regulative Musiktherapie.
Nun fand jeden Montag eine Demonstration statt. Nach und nach setzte man Teilforderungen durch. Schließlich wurde das Gesetz gegen neuroleptische Attentate und Anschläge auch auf Arzte angewandt und eine Untersuchungskommission unter Patientenbeteiligung gebildet. Wenig später wurde auch der Elektrokrampf verboten.
Chefarzt Dr. Hau sitzt nun in der Kästner-straße gemeinsam mit den ergriffenen Mitgliedern der SchAF. Nicht einmal hier hat . er Ruhe, die Terroristen vergiften heimlich sein Essen mit Leponex. Trotz der strengen Kontrollen hat er immer wieder Haloperidol im Trinkwasser. Wie sehr hat er seinen feinherben Geschmack hassen gelernt. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Helmut