psychiatrisches Übergangswohnheim
Übergang: aus der Klinik in die therapeutische Wohngemeinschaft, ins Pflegeheim, ins betreute Einzelwohnen, in eine eigene Wohnung ohne Betreuung, zurück in die Klinik?? Wer weiß das schon, wenn er dort einzieht? Hauptsache, erst einmal raus aus der Klapse! Und es sieht so unerhört einfach aus, das Wohnen im ÜWH: es gibt kein Leistungsprogramm, es gibt Unterstützung für alles, worum mensch sich kümmern muß, vom Einkaufen über Behördengänge bis zur Planung eines zukünftigen Lebensentwurfes, sogar Hilfe zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme. Drei Betreuer für eine Gruppe von sechs Bewohnern: ein optimaler "Schlüssel", nicht wahr?! Aber wahrscheinlich wißt Ihr noch nicht, Ihr Verrückten, wie anstrengend Ihr seid! eine Wohngruppe des ÜWH hat sich mal die Mühe gemacht herauszufinden, wie viel Zeit ihre Betreuer auf ihrer Etage gemeinsam mit ihnen verbringen: durchschnittlich zehn Stunden die Woche. Den Rest der Arbeitszeit brauchen sie, um sich von Euch wieder zu erholen. Und wehe dem, der weniger erholungsbedürftig ist! Eine, die ihren Arbeitsplatz auf der Bewohner- und nicht auf der Teametage sah, wurde vom Leiter dieses Hauses gemahnt: "Unterschätze nicht den Affront, den dein seltenes Auftauchen im Teamraum für deine Kollegen bedeutet!" Ihr gelang die richtige Einschätzung dennoch nicht, und das sollte tötliche Folgen haben. Nach der Katastrophe allerdings wurde ihr Auftauchen im Kollegenkreis unerwünscht, weil unerträglich. Man schloß vor ihr die Tür des Hauses mit den Worten: "Du hast uns immer das Gefühl gegeben, inkompetent zu sein. Jetzt sagen wir zu dir:
Du bist inkompetent!"Was war passiert?
Anfangs war ich fraglos überzeugt, das ÜWH sei ein Haus für Verrückte, und manche der Bewohner schienen derselben Ansicht zu sein. Sie wagten tatsächlich, jenes unangepaßte, unakzeptable Verhalten an den Tag zu legen, mit dem sie sich schon früher aus dem Gesellschaftsgefüge hinauskatapultiert hatten. Könnte man nicht hoffen, in diesem Haus würde mensch in seiner Ver-rücktheit - wenn auch nicht verstanden, so doch wenigstens akzeptiert und aufgefangen von den Mitbewohnern, von den Betreuem? Aber da gibt es Bewohner, die längst erkannt haben, wie anstrengend und wie ungeheuer beängstigend Ihr seid, Ihr Ausgetickten! Sie tragen denn auch Sorge um ihre zerbrechlichen Betreuer und fangen sofort an zu schreien: "Hilfe, der ist nicht auszuhalten!" Und weil sie "Hilfe!" schreien, muß ihnen geholfen werden. Das ist doch klar: Diese labilen, in ihrer Gesundheit so gefährdeten Bewohner (Ihr lest schon richtig: die Bewohner, nicht die Betreuer!) müssen vor ihresgleichen geschützt werden. Also: bei ersten Anzeichen von Austicken: Ab in die Klinik! Wir sind schließlich kein Krankenhaus! Nein, keine Zwangseinweisung! Lassen sich bei etwas Geschick die Verrückten doch meistens überzeugen, daß es für sie selber (sieh an: nicht für die Betreuer, nicht einmal für die Mitwohner, nein: für sie selber) das Allerbeste ist, in diesem Zustand den "Schutz" der Klinik zu suchen.Wie unverzeihlich begriffsstutzig bin ich gewesen! Wie ausdauernd habe ich die Realität verkannt!
Bei einer Bewohnerin habe ich geschlafen, zwei Nächte, und mühelos ließ sich ein Mitbewohner motivieren, zwei weitere Nächte bei ihr zu bleiben, als der Stahlring der Angst ihre Brust immer mehr einschnürte und sie kaum noch der Versuchung widerstand, sich mit der Schere zuleibe zu rücken. Ihre Angst vor der Klinik überwog noch die Angst vor der Angst. Vergeblich. Der Druck des Hauses war stärker: Als es ihr schon anfing, besser zu gehen, mußte sie dennoch die Klinik verlassen. Ich indessen bekam meine erste Lektion: einen Kübel voller Haß, den ich nicht recht wahrhaben konnte, wollte ich dort weiterexistieren.
Für noch mehr Aufregung auf der Etage und im Haus sorgte Manfred, als er durchdrehte. Eine Woche lang habe ich mit ihm durchgehalten. Zugegeben, nicht rund um die Uhr. So fand ich ihn denn eines Morgens, als ich ins Haus kam, nicht mehr vor. Damals waren auch meine Tage im ÜWH wohl schon gezählt. Doch gab es andere Probleme, die meine Aufmerksamkeit und Kraft in Anspruch nahmen: Da war Dieter, der erste, den ich widerwillig (aber als Neuling im ÜWH noch kampflos) der Klinik hatte preisgeben müssen. Er war inzwischen von dort ins Ausland geflohen. Seine "Verfolger" aber hatten ihn jetzt eingeholt, und telefonisch suchte er Kontakt zu mir. Während ich mit Manfred und dem Rest der Wohngruppe vollauf beschäftigt war -die Kollegen diskutierten derweil ausgiebig die Zustände in unserer WG -, rief Dieter in immer kürzeren Abständen, halbstündlich zuletzt, an, in höchster Panik: Der Zugriff seiner Verfolger schien unabwendbar, und in letzter Sekunde, ehe sie zupackten, würde er seinem Leben ein Ende setzen, um endlosen, schrecklichen Folterqualen zu entgehen. "Schicken Sie jemanden!", flehte er. -Wen sollte ich schicken, bitteschön, wen denn? So habe ich mich, nachdem Manfred in der Klinik verschwunden war, selbst auf den Weg gemacht. Kaum bei ihm angekommen, schlief Dieter ein, schlief den ganzen Tag, zehn Stunden lang. Dann horchte er, schaute sich um: keine Verfolger mehr!
Sie hatten sich bei meinem Kommen zurückgezogen und blieben verschwunden. Tausende, tausende von Verfolgern! Sicherheitshalber flüsterten wir oder unterhielten uns schriftlich. Thema: was nun?! Das einzig Gegebene schien mir: Zurück nach Berlin. Nein, ehrlich, nicht in die Klinik! Ins ÜWH natürlich! Schließlich willigte er ein. Wer seine Verfolger vertreibt, wird auch in der Lage sein, ihm einen Platz zum Leben zu schaffen. Wir hatten beide meine Macht erfahren. Wie war es mir nur gelungen, meine Ohnmacht zu verkennen?! Mit Eurer Verrücktheit kann ich es vielleicht aufnehmen, nicht aber mit unserer unverrückbaren Realität, nicht einmal mit den Realitäten des ÜWH. Wir klopften an, und wir wurden nicht eingelassen, denn: Wir hatten unsere Lektion endlich zu lernen: Erstens und ganz konkret: Wer wegläuft, kann nicht erwarten, einen Platz zu finden, wenn er wiederkommt. Zweitens und prinzipiell: Wer akut psychotisch ist, gehört in die Klinik, nicht ins ÜWH; Denn a) der Schwächste im Team, der Ängstlichste, Labilste bestimmt die Arbeitsnorm; b) Normalität ist angesagt, Ellenbogen statt Solidarität. Ausgetickte können so unbequem und aufreibend werden. Bewohner wie Betreuer haben sich einmütig Dieters Wiederaufnahme entgegengestellt.
Dieter lernte befremdlich schnell, erklärte sich bereit, in die Klinik zu gehen. Ich glaubte ihm unverantwortlich leicht. Er bat mich lediglich um "eine letzte ruhige Nacht", und da die Klinik ihn sowieso erst am nächsten Tag haben wollte, nahm ich ihn mit zu mir nach Hause. - Es wurde seine letzte Nacht. Als sie zuende ging, weckte mich ein grauenvolles Klagen, und dieser Mensch stand brennend vor mir, eine einzige Feuersäule. In den Decken, in die ich ihn hüllte, brach er zusammen, und mit den Flammen erlosch auch sein Anspruch an mich oder irgendjemand sonst.'
So wenig wie er, wollte ich meine Lektion lernen. Ich habe das ÜWH verlassen. Den flammenden Protest allerdings bin ich bisher schuldig geblieben. Wußte ich denn, welche Realität Gültigkeit haben darf, wer darüber zu befinden hat; kann man denn wirklich den inneren Notwendigkeiten eines Menschen - wenn sie inopportun sind und mit den äußeren Gegebenheiten in Konflikt geraten - so einfach Rechnung zu tragen versuchen? Indem ich das alles aufschreibe, schäme ich mich meiner Zweifel und meiner Defensivität dem Kollegium gegenüber. Das ÜWH jedenfalls ist unangefochten und in seiner Identität gestärkt aus der Katastrophe hervorgegangen.
Ursula
auf der fahrt
es ist so schwer
verrückt zu sein
und normal zu bleiben.
euch ausgeliefert zu sein
eurer gewalt
gehorchen zu müssen
sonst
schlagt ihr mich
spritzt mich
plündert mich aus
erkennt mir meine rechte ab
euer reines gewissen
sind meine tränen!
warum könnt ihr mich nicht
in frieden lassen?
bin ich so eine gefahr für euch?R.T.
an die psychiatrie
ihr gebt vor, mich zu beschützen
vor wem? vor mir?
ihr erklärt mich für
unzurechnungsfähig
und wer erklärt euch für
zurechnungsfähig?
ihr gebt vor, in einem
demokratischen rechtsstaat
womöglich noch sozial
zu agieren,
und meine rechte?
die würde des menschen sei
unantastbar
und fixiergurte?
ihr tut nur das beste für mich!
wer weiß das?
ihr wollt mir helfen?
und wer hilft euch!ihr beschützt nur euch vor mir,
mit euer nackten gewalt gegen
mich ohnmächtigen!
ihr erkennt mir meine
bürgerlichen grundrechte ab,
ihr werdet zum Übermenschen!
ihr fesselt meinen körper,
ich nenne es folter!
solange ihr nur wißt,
was gut für mich ist,
solange werdet ihr die
GEWALTTÄTER
sein!
helft euch selbst,
werdet verrückt!R.T.
An die Irrenoffensive!
Laßt doch alle Irren frei,
wir wollen keine Wäscherei
laßt Herz und Auge munter sein
und uns unseres Lebens sein.Ich bin Jesus, ich bin Buddha,
morgen fahr ich nach Kalkutta!Psychiater sind doof,
Psychiater sind doof,
Ö, oh Psychiater sind doof.Ihr arroganter Holzblick stört mich
nur peripher, denn ich weiß,
sie haben es schwer.Computer sind doof, Computer sind doof
ergo: Psychiater sind Computer!!
Sitze zur Zeit im Nervenkrankenhaus
Lohr a. Main
am Sommerberg! STATION 19 unten!!!!!!!Helmut
Die Schizolaise
Frisch auf der Schizos muntres Treiben,
stosst an mit Haloperidol.
Dann hört ihr die Fanfaren
herüberkling' von Jericho.
Herüberkling' von Jericho,
der Therapeuten Schar erdrückt euch.
Die letzte Pille noch geschluckt,
und dann ins warme Bett geduckt.
Und doch sind wir noch stets die Alten!
Auf Bürger zur Manie!
Verstärkt die Schizerie!
Manie! Manie!
Spaltung tut Not,
wir schizen bis zum Tod!Ins Wahngebäude eingetreten,
und sei doch stets paranoid.
Freu dich an Halluzinationen,
sie sind doch deines Lebens Glück!
Sie sind doch deines Lebens Glück,
sie geben deinem Leben Farbe.
Und darum baue Stück für Stück
an deines langen Lebens Glück.
So bleiben wir doch stets die Alten!
Auf Bürger zur Manie!
Verstärkt die Schizerie!
Manie! Manie!
Spaltung tut Not,
wir schizen bis zum Tod!Helmut