Irren-Offensive Nr. 5
Eine Psychiatrie-Betroffene Frau äußert sich zum Ansatz des des Komm-Rum:
Liebe Mitarbeiter des Komm-Rum,
Euer Ansatz hat mich jahrelang davon abgehalten, In die Räume des Komm-Rum zu kommen. Irgendwie mag ich zwar Euer Projekt, da es einfach gut ist, wenn es Orte, wie Euer Cafe, gibt, wo Menschen hinkommen und sich treffen können. Doch nichtsdestoweniger empfinde ich Euren Ansatz als Demütigung und Ausgrenzung gegenüber uns Psychiatriebetroffenen. Das finde ich schade, da es Euch doch eigentlich darum geht, Psychiatrie-Betroffenen eine Chance für ihre schrittweise Entwicklung und Entfaltung zu geben.
Ihr sprecht von uns "verrückten ". Zwar ineint Ihr damit nicht Kranke im Sinne der herkömmlichen Psychiatrie u. schon garnicht Kranke, die es für den Rest ihres Lebens sind. Und doch nennt Ihr uns "Verrückte".
Hinter mir liegen 7 Jahre intensiver Psychoseerfahrung (der erste Klinikaufenthalt liegt allerdings schon 24 Jahre zurück, in den letzten Jahren zahlreiche."Psychosen", habe inzwischen nun gelernt, ohne Klinikaufenthalt und ohne Medikamente Psychosen zu durchleben). Trotz bzw. gerade wegen dieser Erfahrung und dem jahrelangen intensiven Kontakt zu anderen Psvchoseerfahrenen Menschen weise ich aen Begriff "verrückte", den Ihr uns überstülpt, zurück, einerlei ob wir uns gerade in einer psychotischen Phase befinden oder nicht. Ich tue dies für mich und für andere Psychiatriebetroffene, gerade auch für jene, die wegen bisher nicht ausreichend vorhandener Selbstachtung hierzu noch nicht in der Lage sind. Natürlich konnte jetzt der Einwand kommen, jeder solle doch für sich selbst eintreten. Das wäre auch in diesem Fall richtig, wenn nicht die Bezeichnung "verrückte" selbst eine für die Betroffenen auf demütigende Weise verkennende und damit krankmachende Wirkung hätte.
Der Begriff "verrückt" ist jedoch nicht völlig fehl am.Platz. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist tatsächlich verrückt.''Die Norm und das Ideal in unserer Gesellschaft ist es, möglichst weit von sich entfernt, entfremdet und abgeschnitten zu sein. Wir leben in einer verrückten Gesellschaft. is wäre schlimm, wenn weiterhin dafür eine Menschengruppe herausgefriffen wird, die anstelle der verrückten Gesellschaft als verrückt bezeichnet wird und somit als Sündenbock "dienen" soll..Dies war schlimm, nicht nur für die unmittelbar davon Betroffenen, sondern für die gesamte Gesellschatt, die sich auf diese weise nicht als verrückt erkennen kann. Ihr sprecht von "verrückter Strategie" und meint damit, (indem ihr von außen betrachtet) "verrücktes Veralten" und seine Konsequenz für die verbale kommunikation, woraus ihr die Ursache und Euren therapeutischen Ansatz ableitet. Es handelt sich aber bei "Psychosen" um Erfahrungsdimensionen, im Sinne von; Selbstheilungsstrategien in einer verrückten Gesellschaft.
In einer "psychotischen Phase" geht es nicht um Kommunikation, sondern darum, trotz der Entfremdung in der Gesellschaft Anschluß an sich selbst zu finden, was ja Voraussetzung ist für authentischen Kontakt zu andereren Menschen. Das Selbstheilungspotential von "Psychosen" kann allerdings erst dann seine positive Kraft entfalten, wenn diese Erfahrungsebnen von dem Betroffenen bzw.der Betroffenen als das erkannt und angenommen werden, was sie sind: Selbstzellungsstrategien. Der erste notwendige Entwicklungsschritt für Menschen mit Psychiatrievergangenheit ist es also, Mut zur Psychose zu entwickeln.Denn solange die Angst "vor der nächsten Psychose" bei Psychiatern, psychiatrischen Patienten und bei den traditionelleleren und auch weniger traditionellen Psychlatriehelfem so ausgeprägt ist, kann sich das Selbstheilungspotential der psychotischen Erfahrung nur schwer entfalten, im Gegenteil, solange die Angst bei Ppvchiatriebetroffenen Menschen vor der Psychose so stark vorhanden ist, verkehrt sich das Selbstheilungspotential der Psychosen in Destruktivität (solange noch kein ausreichender Mut zur Psychose entwickelt ist, rennen Psychiatriebetroffene bei den ersten Anzeichen aus Angst vor ihrer Psychose in die Klinik oder verhalten sich so, daß sie mit Gewißheit eingewiesen werden).
Psychosen, die durch Klinikaufenthalte und Medikamente abgewürgt werden, können, da sie nicht durchlebt werden, ihr Selbstheilungspotential nicht entfalten. Doch Psychiatriebetroffene rennen in einer beginnenden Psychose nur solange in die Klinik bzw. lassen sich durch entsprechendes Verhalten einweisen, solange sie nicht wissen, daß psychotische Erfahrung der Selbstheilung dient. (Das weiß ich aus eigener Erfahrung und der Erfahrung mit anderen Psychiatriebetroffenen, die entsprechend aufgeklärt worden sind).
Und hat sich durch entsprechende Aufklärung erstmal die Grundelnstellung gegenüber psychotischer Erfahrung bei den Betroffenen geändert, läßt es sich auch erlernen, zunächst ohne Klinik (am besten allein zu Haus, das weiß ich nicht nur aus eigener Erfahrung) und noch mit Medikamenten, dann in eigener Medikamentation (eigenständiges An- und Absetzen, hierfür ist besonders das Neuroleptikum Taxilan geeignet), und schließlich ohne Medikamente Psychosen zu durchleben.
Bevor mir ein fortschrittlicher Psychiater (u. fortschrittlicher Lehranalytiker, er ist leider nicht mehr in Berlin) mitteilte, daß Psychosen der Entwicklung dienen, habe ich mich auch mit starken Neuroleptikan(Haldol usw) in hoher Dosierung vollpumpen lassen. Die Angst vor Psychosen ist mangels Aufklärung bzw durch verrückte Vorstellungen über Psychosen weit verbreitet. Immer wieder treffe ich auf Psychiatriebetroffene Menschen, die seit ihrer ersten Phase, die in vielen Fällen lange zurückliegt (sieben Jahre und mehr) und durch Medikamente abgewürgt wurde, dauerhaft hochpotente Neuroleptika für den Rest ihres Lebens nehmen (zwar, wie meißt betont wird, in geringer Dosierung, aber trotzdem, das sind Geschosse).
Es handelt sich hierbei um Psychiatriebetroffe. aus den unterschiedlichsten Schichten (mit u. ohne Ausbildung, mit und ohne Berufserfahrung, mit und ohne Arbeit, genauso wie ich aus Erfahrung mit anderen weiß, daß diese Aspekte nicht die Bereitschaft sich aufklären und zur (Psychose und) Selbstheilung ermutigen zu lassen, beeinflussen). Kenn ich diese Psychiatriebetroffenen frage, wieso sie für den Rest ihres Lebens Medikamente nehmen wollen, ist die Antwort, daß sie und ihr Psychiater davon ausgehen, daß es sonst zur nächsten Psychose kommt.
Ja, und davon kann man tatsächlich mit ziemlicher Gewißheit ausgehen. Nur mit dem entscheidenden Zusatz, daß dies kein Drama ist, sondern eine Entwicklungschance. Solange Psychosen als Bedrohung gefürchtet und als etwas angesehen werden, das man durch Medikamente oder sonstige "therapeutische" Strategien verhindern sollte, können Psychosen nicht als das erkannt und genutzt werden, was sie sind: Selbstheilungsstrategien. Auf diese Weise werden Menschen durch falsche Aufklärung von Psychiatern und Therapeuten um ihre Entvicklungschancen gebracht, die gerade in ihrer Offenheit für psychotische Erfahrung liegen.
Das Absetzen von Medikamenten ist natürlich ein schrittweiser Prozeß, der sich aber ohne weiteres bewerkstelligen läßt (das weiß ich nicht nur aus eigener Erfahrung mit mir selbst, sondern auch aus der Erfahrung mit gleichgesinnten psychiatriebctroffenen Menschen). Voraussetzung für ein Gelingen ist allderdings, durch Aufklärung der Ängst vor Psychosen bei den Betroffenen entgegenzuwirken. Wirken Psychiatrische Helfer durch Aufklärung der Angst vor Psychosen entgegen, indem sie zur Psychose ermutigen, verändert sich auch der Gehalt und Verlauf der Psychosen. Sie verlieren ihre destruktive Verzerrung, die durch Angst vor der Psychose bedingt ist. Solange Menschen durch mangelnde Aufklärung Psychosen für etwas Bedrohliches halten, versuchen sie, vor ihrer Psychose davonzulaufen, wodurch sich Verfolgungs und negative Beeinflussungsideen entwickeln, und es zu Gewaltausbrüchen kommen kann, und auch zu einem lebenslangen Steckentleiben in einer destruktiv verzerrten psychotischen Phase.
So kann es vorkommen (das ist garnicht so selten), daß sich ein Mensch ein Leben lang auf unangenehme Weise ferngelenkt erlebt, in chronischer Flucht vor der eigentlichen psychotischen Erfahrung, (seiner Entwicklungschance) und in seiner Flucht vor sich selbst dann auch noch versucht, mit anderen, wenn auch auf unverständliche und verzerrte Weise zu kommunizieren, was in der Regel natürlich nicht geht, solange die psychotische Erfahrung nicht wirklich zugelassen und der Anschluß an sich selbst trotz der Entfremdung in der Gesellschaft hergestellt sind. Diese Menschen sind die Hauptlast tragenden Opfer der in unserer Gesellschaft herrschenden verdrehten Vorstellung von dem, was psychotische Erfahrung eigentlich ist. Was ist "psychotische Erfahrung" also eigentlich, wenn sie nicht durch Klinikaufenthalt, Medikamente und sonstige Fluchtweisen abgewürgt wird?
Es ist genau jene Erfahrungsdimension, die von unserer Gesellschaft hauptsächlich ausgegrenzt wird und die Psychiatriebetroffene, traditionelle Psychiater und weniger traditionellefsich für den Fortschritt aussprechende) Psychiatriehelfer und Therapeuten am meisten furchten (mit äußert wenigen Ausnahmen): die Erfahrung einer Erlebnisebne, die völlig außerhalb unserer Kontrolle liegt, wobei der Eintritt in diese Erfahrungsebne das Erlebnis des Schwindens und schließlich völligen Verlustes der Kontrolle mit sich bringt. In unserer Gesellschaft ist Raum für völlige Hingabe ausschließlich in der Sexualität gegeben. Doch Orgasmen, das wissen wir aus Erfahrung, sind ausschließlich angenehm und vollziehen sich in einem uns vertrauten Erfahrungsrahmen.
Auch wissen wir aus Erfahrung, daß ein Orgasmus nicht Tag und Nacht anhält, sondern, auch wenn wir Frauen Orgasmusserien erleben können, hat dies aufgrund der beschränkten Möglichkeiten des Mannes irgendwann doch vorläufig sein Ende. Bei der psychotischen Erfahrung ist über einen wesentlich längeren Zeitraum hinweg (über Tage, Wochen oder auch Monate) jeder Augenblick völlig neu. Es ist ganz offen und unbeinflußbar, was im nächsten Augenblick geschieht. Durch jede dieser Psychotischen Phasen kommen die Betroffenen sich ein Stück naher. Davon profitiert natürlich auch der Kontakt zu anderen Menschen, was sich in den Phasen, die zwischen den durchlebten Psychosen liegen, bemerkbar macht.
Bedingung dafür, daß Psychosen fruchtbar verlaufen, ist allerdings die grundlegende Lebensentscheidung: sich heilen zu wollen. Seine Heilung zu wollen, reicht nicht aus, da sie gerade bei für Psychose offnen Menschen in die Sackgasse der fehlenden Eigenverantwortung fuhrt. Erst von dem Zeitpunkt an, wo die Entscheidung für die Selbstheilung getroffen ist, nehmen Psychosen einen fruchtbaren Verlauf. Doch es ist ein Weg hin zu dieser Entscheidung, ein Lernprozeß. Gerade hier bietet sich ein guter und fruchtbare Ansatzpunkt für Psychiatrie-Helfer, vorausgesetzt sie werden ausdrücklich um Hilfe gebeten (Cafebesucher sind keine Klienten, es ist also eigentlich auch nicht zulassig, daß über ihre Entwicklung in einmal wöchentlich stattfindenden Sitzungen gesprochen wird, ohne daß die Betroffenen gefragt werden, ob ihnen des recht ist u. ob sie das überhaupt möchten).
Doch sollte ein Betroffener ausdrücklich um Hilfe fragen, bieten sich einige äußerst ergiebige Ansatzpunkte:
1. Psychiatriebetroffene ermutigen, ihr eigener Therapeut zu sein, sie also zu Selbstheilung motivieren (das ist wesentlich wirksamer, als sie therapieren zu wollen).
2. Die Strategien Psychoseoffener Menschen nicht weiter als "verückt" stigmatisieren, sondern als Selbstheilungsstrategien in einer verückten Gesellschaft erkennen (Psychiatriebetroffene fühlen sich oft zum ersten mal in ihrem Leben wirklich erkannt und von der Last des Stigmas befreit, wenn sie dies hören).
3. Durch Beruhigung und Ermutigung die Angst vor Psychosen nehmen. Darüber aufklären, daß Psychosen keine Tragödie sind, die es zu umgehen gilt, sondern der Entwicklung dienen und durchlebt werden sollten, wenn ein Interesse an Heilung besteht, (wobei es, sollen die Psychosen fruchtbar verlaufen, wesentlich ist, sie eigenständig und nicht unter Betreung zu durchleben.)Psychiatriebetroffene Menschen sind offen für eine Erfahrungsebene, die in jedem Menschen vorhanden ist, jedoch in unserer Gesellschaft von früher Kindheit an systematisch zugeschüttet wird, sodaß selbst derbe Verletzungen in der Regel diese Mauer nicht einreißen können. Psychosefähige Menschen haben also Zugang zu einer Erfahrungsdimension, die in unserer Gesellschaft sonst ausgebledet ist, und gerade daran krankt unsere Gesellschaft vor allem: Die Ausblendung freier Erfahrung, also durch Verstand und Logik nicht erfaßbarer, durch Worte nicht benennbarer und durch unseren Willen nicht steuerbarer Erlebnisdiinensionen, einzig und allein gesteuert vom Fluß des Lebens selbst... (ES ergeben sich drei Grundtonnen von Psychosen.)
Es kann nicht das Ziel sein, Psychosen defizitär, also garnicht , zu durchleben (das ist die Norm in unserer Gesellschaft). Es kann auch nicht Ziel sein, sie destruktiv zu durchleben, also vor ihnen zu fliehen (das ist unter Psychatriebetroffenen die Regel). Es geht darum, Psychosen konstruktiv zu durchleben, um zu der eigentlichen Essenz vorzudringen, dem Lebensfluß selbst...
Als alternative zum Begriff "Psychose" verwende ich lieber die Bezeichnung (Abenteuer)reise zum selbst", wobei unter "selbst" hier nicht von "uns" als voneinander getrennten Einzelexistenzen gesprochen wird (wie das die Norm in unserer Gesellschaft ist), sondern "Selbst"als ein lebendiges Ganzes empfunden, erlebt und erfahren wird, ein Ganzes, von dem jeder/jede von uns eine Zelle ist, durch die (lassen wir dies zu und versuchen nicht, vom Verstand her die Dinge zu lenken) die Essenz des Lebens fliesst.
Alles Liebe für Euch