Im Herbst '96 wurden aus Anlaß des
50 Jahrestages in Nürnberg, Paris und Washington von verschiedenen Veranstaltern
mit verschiedenen Schwerpunkten Kongresse einberufen. Die Zeit der verdrängenden
Ignorierung oder nur monströsen Verpeepung scheint zu Ende zu gehen und
einer zögerlichen Aufarbeitung der Geschehnisse zu weichen.
Auffällig war die geringe Beteiligung von Psychiatrie-Erfahrenen, denen
das Thema nicht ganz geheuer zu sein scheint und die offensichtlich das Thema
lieber den Medizinern untereinander zu überlassen bereit sind. Damit
wird der Bedeutung den Fragen ausgewichen, denn es war definitv die Psychiatrie,
in der das Fließband-Morden losging, und Goldhagens Buch über die
innere Bereitschaft, ja das Interesse der Deutschen, den Judenmassenmord zu
begehen, fehlt das medizinische Pendant über das Interesse der Ärzte
und Wissenschaftler, die unheilbar für ver-rückt Erklärten
auszurotten.
Wir berichten von den drei Veranstaltungen,und schließen mit den Fragen
von Hadamar diesen Teil ab.
Vom 25.-27. Oktober 1996 fand der IPPNW
Kongreß in Nürnberg statt (deutsche Sektion der internationalen
Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer
Verantwortung e.V. kurz: IPPNW).
Die Jahrestagung wurde von 64 Foren verschiedenster Art getragen .
Die Initiative für ein "Museum für wahnsinnige Schönheit" in
Berlin an der Tiergartenstraße 4 stellte in einem Ausstellungsstand
ihre Projektion vor, was in diesem Kongress großen Anklang fand.
Ich besuchte fünf Foren.
Das Rote Kreuz im Nationalsozialismus
Psychiatrie im Nationalsozialismus
Das Schweigen brechen: Täterkinder berichten
Zwischen Aussonderung und Selbstbestimmung -behinderte Menschen heute -
Gewalt und Rechtsradikalismus.
Es gab eine Eröffnungsveranstaltung u.a. mit Prof. Dr. Dr. Hans Richter, Gießen, zum Thema: Medizin und Gewissen und es sprach Oskar Lafontaine, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, zum Thema: Ethische Grundlagen der Politik.
Bei drei Plenarversammlungen setzte man sich mit
dem Weg der Ärzte auseinander. Diese lauteten:
Vesuche mit Menschen: Ärztl. Praxis und rechtl. Regelungen vor 1933
Probleme der Ärzte im Dritten Reich
Brauchen wir eine neue medizinische Ethik ?
Es gab eine interessante Abschlußveranstaltung. Ziel hierin war es, Ärzte mehr als Helfer betrachten zu lassen, die aus ihrer Vergangenheit gelernt haben und heute den Menschen mit seinen Schwächen akzeptieren. Es war deshalb auch klar, daß die Kassen der Krankenversicherungen und die des Staates angesprochen wurden. Sie wollen trotz aller Widrigkeiten dem Patienten ein Partner sein und so gut helfen, wie es möglich ist. Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, unterstrich dies in seiner bekannten Redekunst und sprach so über den Stand des Arztes in sozialer Verantwortung.
Zehn Thesen, Grundlagen für neues ärztl.
Denken, wurden vorgetragen. Sie zeigen auf, daß mehr Menschlichkeit
in sozialer Verantwortung erfolgen soll und es die Aufgabe des Patienten ist,
die Beteiligten darin zu stützen. Kein Patient soll Versuchskaninchen
sein.
Es kann leider nur oberflächlich berichtet werden, da der ganze
Kongress zu vielgestaltig war.
So z.B. von drei Foren.
„Täterkinder": Hier spürten die Teilnehmenden, wie schwer eine familiäre Schuld wiegt, wenn ein Mitglied sich im Dritten Reich engagierte und mittat. Die Mauer des Schweigens, die nicht Klärung der Zusammenhänge, die zur Nürberger Verurteilung -mitunter auch zum Tode- führten, wenn die Kinder das Tatmotiv ihrer Eltern durchsuchten; hierin ähneln sich Opfer- und Täter-Kinder.
Behinderte Menschen heute, ein anderes Thema eines Arbeitskreises, zeigte sehr deutlich auf, daß zwischen der Zeit damals und heute ein Zeitabschnitt vergangen ist, jedoch keine moralische oder ethische Besserung tatsächlich eingetreten ist, trotz mancherlei Verbesserung.
Das Forum über die Psychiatrie damals und heute zeigte die nochmalige Notwendigkeit auf, die Geschichte bis heute aufklärerisch und klar zu zeigen, um es somit zu ermöglichen, im partnerschaftlich gemeinten Sinne den Mitmenschen zu begreifen und zu begleiten.
Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte
für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in Sozialer Verantwortung
e.V. , Körtestraße 10, 10967 Berlin,
Tel: 030-6930244
Der Unterschied zum Nürnberger Kongress ist klar: es geht um ein präzis umrissenes Geschehen und kein nebulöses Allgemeines. Die Veranstalter haben in ein Gebäude der Unesco geladen und stehen unzweifelhaft an der Seite der Ermordeten: Das Centre de Documentation Juive Contemporaine (Zentrum der jüdischen Gegenwardsgeschichte) , und die Association des Médecins Israélites de France (Vereingte israelitische Ärzte in Frankreich)
Die Schirmherrschaft haben wesentliche Personen der Zeitgeschichte übernommen:z.B. Robert Badinger (ehemaliger Justizminister) Jaques Derrida, 2 Medizinnobelpreisträger, Leon Poliakov (der international bekannteste Antisemitismusforscher), Eric de Rothschild, Simon Veil, Elie Wiesel.
Konzentriert wurde den Vorträgen gefolgt und sehr lebhaft wurde die Diskussion, als der Präsident des Internationalen Roten Kreuzes auf dem Podium ins Kreuzfeuer der Fragen gerät, warum z.B. immer noch die Archive geschlossen sind und die Rolle des Roten Kreuzes in der Nazi-Zeit verheimlicht wird.
Im Grunde genommen die polititischere Veranstaltung,
die wesentlich prominenter besetzt war und die zeigte, daß in der jüdischen
Gemeinde in Frankreich der Frage der Bedeutung des medizinischen Apparats
für die Entstehung des Holocaust zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt
wird.
die dritte und letzte Konferenz, veranstaltet
von der offiziellsten Seite, leider auch wieder kaum von Psychaitrie-Erfahrenen
besucht. Ein Kurzbericht von Ron Thompsen:
Gute Vorträge, aber bei keinem der Referenten ist eine Sensibilität
für das Unrecht, das heute in der Psychiatrie geschieht festzustellen.
Dr. Christian Pross vom Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin
als Referent auf diese Frage angesprochen mußte bekennen, noch nicht
in die Richtung gedacht zu haben, wie traumatisierend Fixierung und Zwangsbehandlung
sind.
Da gibt es Verbündete zu gewinnen, ohne uns
dabei direkt mit den Qualen der körperlich gemarterten Opfer von Gewaltherrschaft
vergleichen zu müssen.
Das Motiv des Brechens des Willens eines Ungläubigen bleibt dasselbe,
sei dieser Mensch politisch- oder krankheits-uneinsichtig.