Im Antipsychiatrieverlag Peter Lehmann sind im Novem-ber 1996 die beiden
Bände „Schöne neue Psychiatrie" erschienen.
Die beiden Bände arbeiten ähnlich wie der "Chemische Knebel" (auch
von Peter Lehmann und auch in seinem Verlag erschienen), die wirkungsweise
von Psychophar-maka sowie Elektroschock auf. Die einzelnen Gruppen der Psychopharmaka
wie Neuroleptika („antipsycho-tische Mittel"), Antidepressiva und Psychostimulantien
werden unterschieden und einige gebräuchliche Präparate werden beispielhaft
separat analysiert. Dabei behauptet Lehmann, daß diese Präparate
hochschädlich sind, insb. Neuroleptika schon bei geringer Dosis zum Tode
führen können, Selbstmordabsichten hervorrufen oder kontrain-diziert
(sie bewirken das Gegenteil dessen, was bezweckt werden soll) wirken. Die
verschiedensten schädlichen und „Neben"-Wirkungen werden ausführlichst
dargestellt. In der eigenen Buchbesprechnung des Verlages heißt es:
„Das Buch ermöglicht eine fundierte und unabhängige Entscheidung
- Einnahme von Psychopharmaka .....trotz erheblicher Gesundheitsrisiken -
oder lieber doch nicht."
Aus meiner Sicht ist das nicht das Hauptproblem für Psychiatrie-Erfahrene.
Die Frage stellt sich: Wie erkämpfe ich mir stationär überhaupt
das Recht, entscheiden zu dürfen, ob ich Psychopharmaka nehmen will oder
nicht. Auch ambulant ist das Mitspracherecht z.b. über die Dosis durchaus
nicht selbstverständlich. Es werden Depotsprit-zen gegeben, bei denen
der Patient häufig genug weder die Dosis kennt noch das Präparat.
Er/Sie weiß gar nicht, wenn er/sie wieder auf Tabletten umsteigen will,
wieviel Tabletten das überhaupt sind. Neuroleptikaeinnahme kann als Auflage
gemacht werden, um entlassen zu werden, oder um Sozialhilfe zu bekommen. Es
obliegt also dem Einzelnen, einen"guten" Arzt bzw. Rechtsanwalt zu fin-den,
der ihm die persönliche Freiheit nach Beratung läßt, z.B.
selber die Dosis zu bestimmen.
Das Wesentliche scheint mir in unserer psychiatriekriti-schen Arbeit nicht
zu sein nachzuweisen, wie schädlich Psychopharmaka sind. Es ist sicher
wichtig, aber das Wichtigste ist unsere Freiheit, die Freiheit, Psychophar-maka
abzulehnen bzw. die Dosis selbst zu bestimmen, die Freiheit der Aufenthaltsbestimmung.
Wir wollen der Fra-ge nachgehen, welche Wünsche haben wir, wie können
wir uns selber und gegenseitig helfen, so daß wir keine Psychopharmaka
brauchen.
Aus Lehmanns Buch resultiert eher die Frage: Wie erfinde ich eine chemische
Substanz, etwa ein Naturheilmittel, das möglichst unschädlich ist
und die optimale Wirkung erzielt? Mit diesem Forschungsvorhaben würde
auch jeder Psychiater übereinstimmen. Damit sind wir aber in unse-rem
Bedürfnis nach Freiheit und Legalisierung der Ver-rücktheit noch
kein Stück weiter.