Die Irren-Offensive Nr. 10
Beschluß der Mitgliederversammlung der Irren-Offensive:
Beschluß der Mitgliederversammlung des Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg:
Durchbruch – Umbruch
Durch die Möglichkeiten, die die Vorsorgevollmacht (Vo-Vo) eröffnet hat, stehen wir vor einem grundlegenden Wandel unserer Strukturen und Vorgehensweisen.
Dazu haben wir nochmals in der Heftmitte als Sonderbeilage die aktuellste Version der Vorsorgevollmacht und des dazugehörigen Vertrages mit Erklärungen.
Durch die Vo-Vo ist erstmals in der westlichen Welt rechtlich verbindlich das "therapeutisch" verbrämte Privileg des Staates, über die Körper seiner Bürger mit Freiheitsberaubung und körperverletzender/folterartiger Zwangsbehandlung zu herrschen, zerbrochen. Leider sind immer noch ein kompliziertes Vertragswerk und handlungsbereite, energische Vorsorgebevollmächtigte bzw. Überwachungsbevollmächtigte Rechtsanwälte notwendig, um dieses Privileg des Staates jeweils für sich persönlich zu zerbrechen, aber von nun an ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das ganze Kerkersystem Psychiatrie und sein es schützendes Gesetzes-blend-werk zerbröseln. Es hat zusätzlich zur Vorsorgevollmacht schwerste Volltreffer hinnehmen müssen: Das Russell Tribunal zur Frage der Menschenrechte in der Psychiatrie hat getagt und geurteilt und Gert Postels Buch "Doktorspiele" ist auf den Beststellerlisten und er selbst spricht in Film und Fernsehen zu einem Millionenpublikum. Ihm gebührt der Medizin Nobelpreis für seine Chuzpe, das psychiatrische Lügenqualifikationssystem einem so breiten Publikum vor Augen geführt zu haben.
Somit sind wir in der BRD in eine Zwischenphase gekommen - eine Art Doppelherrschaft vor dem Untergang der Zwangspsychiatrie durch Abschaffung aller Psych KG´s und Zwangsbetreuungsgesetze sowie der Abschaffung aller willkürlichen forensisch/psychiatrischen Begutachtungen für "Schuldunfähigkeit" und unbefristeten Maßregelvollzug. [Forensische Psychiatrie könnte ein Teil des Haftkrankenhauses werden, und wenn eine angebl. "Krankheit" geheilt sei, dann soll der "Therapeut"/Arzt den Haftrichter davon überzeugen, daß vorzeitig vor Ende der Regelvollzugszeit entlassen werden kann.]
Diese Doppelherrschaft könnte auch so charakterisiert werden: Wir haben schon Recht, aber wir müssen es auch noch durchsetzen. "Recht haben" und "Recht kriegen" sind ja bekanntlich zwei paar Stiefel. Damit kann die Phase der Erlangung des Rechts, "das Recht haben", abgeschlossen werden und wir sind nun in der Phase der möglichst professionellen und massenhaften Anwendung der Vorsorgevollmacht. Das heißt: die bisherigen Mittel der "Lobbyarbeit", Selbsthilfegruppen, Öffentlichkeitsarbeit, "Empowerment", politisches Engagement im weiteren Sinne, sind überholt, da man/frau sich nun rechtswirksam GEGEN die Zwangspsychiatrie entscheiden kann, die ärztliche Gewalt zur Durchsetzung ihrer Macht mit Hilfe der Vo-Vo zerbrochen werden kann.
Das ist ein epochaler Umbruch, Postmoderne ist aus akademischen Diskussionszirkeln ausgebrochen und zur materiell-gesellschaftlichen Gewalt geworden!Das soll nun illustriert werden: Statt daß die Psychiatrie mit uns spielt, um gesellschaftliche (Mehrheits- und Gewalt-) Interessen durchzusetzen, können wir nun mit der Gesellschaft spielen: wer bereit ist, eine symbolisch-virtuelle Entwertung/Verleumdung als angebl. "Geisteskranker", "Psychisch Kranker" usw. gegen bare Münze als "Wiedergutmachung" zu tauschen, kann das jetzt bedenkenlos tun, da es eben kein objektivierbares Kriterium dafür gibt, jede Simulation denkbar einfach ist, und – entscheidend – die Vo-Vo das Strafregime außer Kraft setzt, z.B. so:
- Wenn das Urlaubsgeld alle sein sollte, sich einfach zur nächsten Psychiatrie fahren lassen, dort verlautbaren lassen, man sei "psychisch krank" und müsse die Taxifahrt bezahlt bekommen und bräuchte ein Bett – selbstverständlich NUR auf der offenen Station, und Drogen nur nach Gusto – denn die unterschriebene Vorsorgevollmacht verbietet JEDEN Zwang. Wenn die Ärzte nicht aufnehmen wollen, dann sollte ein um 90° gekippter Schreibtisch die Verhältnisse klären – schließlich können die doch nicht auf einmal die hilfesuchenden Menschen mit Polizeigewalt wegbringen lassen! (Auch eine Selbstmorddrohung führt sicher zur Aufnahme) Mit etwas Glück bekommt man als Sozialhilfeempfänger dann auch noch ein Rückfahrtticket an den Heimatwohnort geschenkt.
Man sieht, statt daß einen die gesellschaftliche Gewalt – in Form der Polizei - zur Psychiatrie hinbringt, muß die Psychiatrie sich nun überlegen, welche Vorwände sie benutzen kann, um jemanden – in ihrem Notfall - mit Hilfe der Polizei loszuwerden!
- Man kann sich das Recht auf Faulheit verwirklichen: mehrere stationären Aufenthalte – mit Vo-Vo selbstverständlich nur auf der Offenen, Drogen nur wie es einem gefällt - und man hat einen Rentenanspruch, wenn man vorher entsprechend den Versicherungsbedingungen gearbeitet hat. Selbst die Sozialhilfe wird kundenfreundlicher, wenn durch angebl. "psychische Krankheit" der Arbeitszwangs wegfällt – ein Attest vom Psychodoc als sog. "Borderliner" bekommt man immer, wenn nicht vom ersten, dann vom zweiten Doc.
"Stimmen hören", niedergeschlagen sein, das kennt schließlich jede/r und niemand wird das je überprüfen können – oder wie wär's in den jetzigen Kriegszeiten mit einer Bio-Waffen Paranoia, oder mit einer Psychiaterphobie? Überall lauern sie, man kann zuhause nichts mehr aufräumen (das könnte eine Haushaltshilfe bringen!) und überall sieht man Psychiater, die einen vergewaltigen wollen – mit Vo-Vo alles günstig im Griff, auch Allgemeinärzte können ja als "psychisch krank" krankschreiben; wenn man NIE einen Psychiater sehen will, dann ist die "Psychiaterphobie" eine besonders vorteilhafte Form der angebl. "psychischen Krankheit". Sie läßt sich noch dadurch steigern, daß jetzt alle Psychiater mit Dr. Postel angesprochen werden können, und sie sehr oft schon in Zivil und nicht mehr in Weiß rumlaufen, hinter jedem Mißgünstigen könnte somit ein Psychiater stecken!
- Selbstverständlich sammeln wir alle Tricks und Finten – bitte nur zusenden, die nächste Irren-Offensive kommt bestimmt heraus.
Mit dieser Analyse ist die nächste Zukunft des Werner-Fuß Zentrums abgesteckt: Professsionalisierung der Vorsorgevollmacht durch eine rechtlich eigenständige "Initiative Selbstbestimmung" und deren "Zentralregister Vorsorgevollmacht" und eine Abkopplung von allen medizinalisierenden Selbsthilfe-"Therapeuten". Die können noch eine kleine Weile als allerletztes Schutzschild des Zwangsystems sich dafür hergeben, nach "alternativer" Hilfe zu jaulen und die Opfermonstranz vor sich her zu tragen, die Geschichte wird sie vergessen, denn:
WIR sind die glücklichen Irren!
Berlin, 3. 11. 2001