Die Irren-Offensive |
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Es gibt keine "psychische Krankheit", nur Rufmord verbrämt als "Diagnose" |
Warum psychiatrische
Zwangsbehandlung Folter ist
Es sind drei Kriterien, die vor dem Gesetz Folter definieren: Erstens Handlungen die Schmerzen zufügen, die zweitens von staatlichen Organen ausgeübt werden, um damit drittens eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen. Die ersten beiden Bedingungen sind bei der Zwangspsychiatrie zweifellos erfüllt. Ob auch die dritte Bedingung zutrifft und was Folter im Kern ausmacht, darum geht es in dem Interview mit Heiner Bielefeldt und in dem Gespräch mit Wolf-Dieter Narr. |
René Talbot und Wolf-Dieter Narr im
Gespräch:
„Der
Geständniszwang macht die
Zwangsbehandlung zur Folter.“ Der
Direktor des Deutschen Institus für Menschenrechte, Heiner Bielefeldt,
lehnt die Bezeichnung „Folter“ für psychiatrische Zwangsbehandlung
ab. Um dies behaupten zu können, müssten alle Kriterien
für Folter erfüllt sein, sagt er. Die Ausübung von
psychiatrischem Zwang zur Erreichung von „Kranheitseinsicht“
möchte er aber nicht als Erfüllung des Kriteriums „Erpressung
eines Geständnisses oder einer Aussage“ anerkennen. René
Talbot: Der Zwang zum Geständnis bildet meiner Ansicht
nach den Kern dessen, was Folter ausmacht. Es soll etwas gestanden
werden, eine Verfehlung, ein vorhergegangenes Verbrechen, etwas, das
moralisch verwerflich ist. Es geht hier nicht um die Preisgabe einer
„Information“. Wolf-Dieter
Narr: Generell kann man nicht eine eindeutige Folterdefintion
bringen - das ist Unsinn. Da unterscheide ich mich auch von Bielefeldt.
In einem anderen Zusammenhang hat er von einem "absoluten Folterverbot"
geredet. So bald das Wort "absolut" in irdischen Dingen
aufkommt wird's immer falsch. Folter ist wie alle anderen irdischen
Dinge eine relative Angelegenheit. Es heißt auch: es gibt verwässerte
Formen, folterartige Elemente, Elemente, die zu Folter führen,
wenn sie auch nicht Folter im ganz emphatischen Sinne des Wortes sind. Richtig. Aber auch wenn wir die Begrifflichkeit der UN-Konvention gegen Folter akzeptieren, dann stellt sich die Frage, ob es um Erpressung von Informationen geht oder nicht doch vor allem um die Erzwingung eines Geständnisses, um Unterwerfung, um die Verfügbarkeit der gefolterten Person für den Folterer und seine Auftraggeber. Es ist insbesondere das Eindringen in das Subjekt, seine Negierung, die „Übernahme seiner Gedanken“, die völlige Verdinglichung, die Folter für den Betroffenen so schlimm macht. Ja,
das ist zweifellos richtig. Die objektivierende Funktion ist die Hauptsache.
Deswegen ist beim Versuch, ein Geständnis mit Zwang zu erreichen,
der Zwang mindestens so wichtig, wie das Geständnis. Bei Informationen
kommt es ganz offensichtlich in Abu Ghuraib oder sonst wo nicht auf
die Frage an, ob die etwas sagen, was der CIA oder andere nicht wissen
– die wissen das schon alles. So
wie bei den Nazis. Jean Amery hat dazu einen wunderbaren Essay verfasst:
Die wollten nicht wissen, was sie noch nicht wussten, sondern sie
wollten, in dem sie ihr Opfer etwas fragten und in dem sie etwas von
ihm herausfinden wollten, durch die Art, wie sie dies herausfinden
wollten, ihn zum puren Objekt, wenn man so will: zum "Muselman"
machen, zum Fleisch, das sozusagen aus schier Erpresstem besteht,
das gar nicht mehr anders kann, als dann zu sagen: "Ja, ich bin
ein Mörder" oder "Ja, ich habe die Information X oder
Y gegeben." Das ist der Kern der Frage. Das sehe ich auch so. Und es ist wichtig darin auch dieses völlig Entwürdigende zu sehen ... Dass man so tut, als ob man ein Geständnis oder eine Information bräuchte, ist gleichsam nur der legitimitorische "Teppich", um den Zwang auszuüben. Man weiß ja auch, dass durch Folter erzwungene Aussagen überhaupt nichts bringen, weil selbstverständlich Du und ich und jeder einigermaßen nicht total durchgestählte Mensch, der jeden Schmerz erträgt, irgendwann alles zugeben würden. Und vielleicht ist es sogar die einzig rationale Strategie gegenüber der Folter, dass man sofort sagt: "Ich sage alles, was sie hören wollen!" Wenn du das getan hast, wirst du nie mehr in deinem Leben darüber hinwegkommen. Bei vielen brutalen Formen von Gewalt ist das Schlimmste ja nicht die Gewalt, die du körperlich erleidest und die im Grunde mit dem Körper ausheilt. Was nicht ausheilt, ist diese totale Unterwerfung, dass du eben nur noch Objekt bist und Subjekt allenfalls noch dort, wo es sich erniedrigen läßt. Das vernichtete Subjekt, das ist das Ziel. Wobei es aber insofern nicht völlig vernichtet ist, als es eine Erinnerung hat und deswegen wieder ein Stück aufstehen kann und deswegen auch ein Trauma haben kann. Wenn es völlig weg wäre, dann käme der Effekt nicht zustande. Dieser Effekt bleibt schon. Du wirst dadurch zu einem Subjekt in diesem doppelten Sinne, wie ihn das lateinische Wort ja hat: "Subjekt" heißt: das "Unterworfene" und gleichsam das extatische Individuum. Und du wirst sozusagen ganz unterworfen und das Stückchen Individuum, was bleibt, die Person, die ganz dämmerig bleibt, ist das, was dann das Trauma erfährt und ein Leben lang nicht darüber hinwegkommt. Wir nennen es ja auch "das kolonialisierte Subjekt". Das ist das eigentliche Ziel. Bei der Vernichtung des Subjekts wäre der Sieg ein kleinerer. Ja,
Vernichtung wäre falsch, weil das Subjekt ja bleibt. Wenn es
völlig vernichtet wäre, wäre dann höchstens noch
Fleich übrig. Es geht tatsächlich mehr um die Kolonialisierung des Subjekts. Sein Wille soll ganz der des Unterwerfenden sein. In diesem Sinne ist dann das angestrebte „Produkt der Folter“ das Opfer, das "Compliance" mit dem Täter zeigt. Psychiatrie, die versucht, mit Zwang diese Compliance herzustellen, muss deshalb als verfeinerte Foltertechnik bezeichnet werden. Das kann auch völlig absurde Formen annehmen, wenn beispielsweise ein Psychiater „Gute Fassade“ diagnostiziert und damit nichts anderes sagen will, als: „ Sie tun nur so, als wären Sie normal. Tatsächlich sind Sie verrückt, tatsächlich sind Sie schwer krank.“ Oder es gibt auch die Diagnose „vorgetäuschte Krankheitseinsicht“. Da will sich z.B. einer der Gewalt durch die Psychiater entziehen, indem er sagt: „Ja, ich bin krank!“ Die aber antworten: „ Nein, das glauben wir Ihnen nicht. Wir wissen besser über Sie Bescheid, als Sie selbst. Sie sind nicht wirklich krankheitseinsichtig.“ Es
geht nicht um Vernichtung, sondern um Unterwerfung. Der Wille soll
gebrochen werden. Das,
was in der Psychiatrie geschieht, ist ein totalisierender Ersatz.
Als Psychiater weißt du, was richtig, was "gesund"
ist, z.B. "ABC". Der will aber "D" haben, also
ist er krank. Also muß er auf "ABC" kommen. Und da
du ja als Psychiater annimmst, dass du Recht hast, setzt du dich an
die Stelle dieses Wesens und mußt also dieses Subjekt mit seinem
"D" überzeugen, dass es akzeptiert, was du für
ihn oder sie denkst. Überzeugung ist das ja nicht, wenn du mit Zwang zur „Einsicht“ gezwungen wirst. Das ist ja gerade der Punkt. Stimmt.
Überzeugung ist falsch. ... und in die Geschlossene plus Fixierung plus ... Richtig,
das ist ja der Punkt. Etwas anderes wäre es, wenn ein „Exit“,
ein „Ausstieg“, möglich wäre. Wenn jeder Patient
ein Gespräch mit einem Psychiater führen könnte und
bei Meinungsverschiedenheiten einfach seine Kappe nehmen und abhauen
könnte, dann wäre das eine ganz veränderte Situation.
Aber
selbst da gibt es Grenzen. Auch wenn es eine ganze Fülle von
Leuten gibt, die sich danach drängen, ihre Selbstbestimmung aufzugeben
und andere für sie handeln zu lassen, da stimmt irgendwas nicht,
weil wir geradezu anthropologisch vermuten können, dass alle
Menschen ein Stück sich selbst bestimmen wollen. So, wie Kinder
selber gehen wollen. Der Punkt ist, dass es immer die Möglichkeit geben muss auszusteigen ... Ja.
Du könntest dir aber ein System des Zwangs und ohne Exit-Möglichkeiten
vorstellen, das so perfekt ist und so früh ansetzt, dass die
Leute gar nicht in der Lage sind, zu einem eigenen Selbst zu kommen
und sich früh aufgeben. Wenn wir da als Analytiker herangingen,
dann würden wir uns nicht an den Kopf schlagen und denken: das
ist Recht, wenn sie im Gefängnis leben wollen, dann wird es ihnen
ja eine Lust sein. Dann nehmen wir natürlich unsererseits an,
nein, das ist ja wohl nicht ganz so lustig. Wir zwingen sie zwar nicht,
aus dem Zwang rauszugehen, aber wir analysieren sehr wohl freiwilligen
Zwang als etwas, wo die Freiwilligkeit sehr schnell in Frage steht. In den USA sollen ja im Rahmen des sogenannten „Teen Screen“-Programms alle Kinder und Jugendlichen auf Geisteskrankheiten hin untersucht und gegebenenfalls zwangsdiagnostiziert werden. So, wie früher bei uns die Untersuchung auf Tuberkulose Pflicht war. Schon in frühester Jugend soll damit ein geschlossenes und unhinterfragbares System eingepflanzt werden. Das geht bis hin zu pränataler Diagnostik, wo man meint, mit sogenannter „psychiatrischer Genetik“ was machen zu können. In einer Situation, wo der Weg in die medikalisierte Gesellschaft führt und wo du eine präskriptive Medizin hast, da liegt es nahe, dass du die legitimierst, in dem Sinne, dass du weißt, was ein Genom ist. Du weißt auch im Grunde, wo eigentlich die Probleme liegen. Wenn du gleichzeitig diese Entwicklung hast, in einer Situation der A-Gesellschaftlichkeit, die Nicht-Gesellschaftlichkeit zunimmt, weil es keine sozialen Beziehungen in den meisten sozialen Räumen mehr gibt, weil die Leute ja nicht mitbestimmen, also sozusagen „Banlieue im Extrem“ - da braucht es dann Überlegungen: Wie kommst du mit abweichendem Verhalten klar, wenn dieses abweichende Verhalten irgendwie "gefährlich" wird, den normalen Weg stört. Dann ist es natürlich wunderbar, wenn du da eine "Fürsorge" hast, die du gar medizinisch begründen kannst. Du kannst dann abweichendes Verhalten "therapieren", das ist doch dann "the best of all solutions". Das hat Michel Foucault sehr früh ganz richtig erkannt ... Ja
klar, weil es längst nicht mehr darum geht im Sinne von "Hals
ab" oder harten Strafen äußerlicher Art. Dazu ist
das Problem viel zu groß und auch zu komplex, sondern du kannst
es in der Tat sozusagen verwissenschaftlichen ... ...
scheinbar ... ... ach Gott - die Wissenschaft ist so eine Hure, von Anfang an. Man muß im Grunde bei Wissenschaft, genauso wie bei Demokratie oder sonst was, immer dazu sagen, was man eigentlich darunter versteht - das gilt bei ebenso Menschenrechten. Was da gelogen wird, ist ja unglaublich. ... und verwässert wird ... Wir berufen uns ja bewusst auf die Menschenrechtserklärung von 1948, weil diese Erklärung noch in Reinform das enthält, worauf es uns ankommt: die Unteilbarkeit der Menschrechte als ihrem wesentlichsten Merkmal. Damals gab es noch keine Sonderbestimmungen für Geisteskranke. Das wurde erst später nach und nach hinzugefügt und gipfelte in der Erklärung vom 17. Dezember 1991, in der die Vollversammlung jedem das Recht auf Ablehnung einer medizinischen Behandlung zusprach – es sei denn, es handele sich um unfreiwillig untergebrachte Personen. Dies verkauften sie dann auch noch als „improvement of mental health care“. Damit wurde genau das gemacht, was Du gesagt hast: die Menschenrechte wurden zur „Hure“ gemacht. Das Interview wurde für den Abdruck in der Irrenoffensive leicht bearbeitet. Das Originaltranskript und den Audiomitschnitt gibt es im Internet unter: www.dissidentenfunk.de/archiv/s0601/#t07trackinfo |